: Trumpscher Wahlkampf
Goldene Wasserhähne zuhause und einen Kanzler kaufen wollen. Die Anti-Baerbock-Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zeigt wieder einmal, wie Kapitalvertreter Stimmung machen. Mit Hilfe großer Medienhäuser.
Von René Martens↓
Im kommenden Jahr dürften sich Medienforscher erneut mit der ARD-Soap „Marienhof“ beschäftigen. Dann jährt sich zum 20. Mal ein bis dato beispielloser Eingriff der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in die Dialoge einer Serie. Verschiedene Botschaften wurden ins Drehbuch geschrieben, unter anderem Werbung für Zeitarbeit.
Es war der erste große Medienskandal rund um die marktradikale INSM, die sich selbst als „Denkfabrik“ bezeichnet – was ein feiner Zug ist, denn bei Institutionen, die sich so nennen, kann man sicher sein, dass das Denken dort zu den weniger verbreiteten Tätigkeiten gehört.
Während die ARD damals ausgetrickst wurde, lässt sich das für die aktuellen „Medienpartner“ der millionenschweren Initiative nicht sagen: FAZ, „Süddeutsche Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ druckten vor wenigen Tagen anlässlich des Parteitages der Grünen eine Anzeige, in der die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock unter Anspielung auf die zehn Gebote als Moses mit zwei Tafeln dargestellt ist. „Wir brauchen keine Staatsreligion“ und „Annalena und die zehn Verbote“ lauten die entscheidenden Schlagworte. Vielerorts erschien die Werbung auch online, wo sie noch eine wesentlich stärkere Wirkung entfaltete, weil dort der redaktionelle Teil zwischen zwei Teilen der Anzeige quasi eingequetscht war.
Lobbyarbeit für Ultrareiche und Konzerne
„Ich kann mich nicht erinnern, dass in der jüngeren deutschen Geschichte jemals eine Lobbyorganisation im Auftrag von Ultrareichen und Konzernen so offen und mit so viel Aufwand versucht hätte, Einfluss auf einen Bundestagswahlkampf zu nehmen“, schreibt Christian Stöcker in einer „Spiegel“-Kolumne unter der Überschrift „Komm, wir kaufen uns einen Kanzler.“ Die Kampagne sei ein „Dammbruch“.
„Die Verbote der Grünen lähmen unser Land“, heißt es gleich zum Auftakt der Anzeige. Nun ist es natürlich theoretisch möglich, dass Parteien mit „Verboten“ das Land lähmen – einer Partei, die seit 2005 nicht mehr im Bund regiert, dürfte das allerdings nicht so leicht fallen.
Die blühende Phantasie der Kampagneros animierte sogar die sonst so nüchterne Nachrichtenagentur dpa zu einer knackigen Headline: „Lobbyisten erfinden angebliche geplante Verbote“ – so war zu Beginn dieser Woche ein Beitrag des Factchecking-Teams der Agentur überschrieben. Ein vermeintliches Verbot, dem sich die dpa-Redakteure widmen: „Du darfst noch weniger von deinem Geld behalten, obwohl du jetzt schon hohe Steuern zahlst.“ Das sei „teilweise falsch“, schreiben die Faktenprüfer. Denn: „Nach den Plänen der Grünen soll es für Spitzenverdiener tatsächlich höhere Steuern geben, doch im Gegenzug will die Partei Bezieher von geringen bis mittleren Einkommen entlasten.“
Ungenauigkeiten im Umgang mit dem Steuern sind bei der INSM schon länger beliebt, das zeigte sich im Bundestagswahlkampf 2017. Die Organisation Lobby Control monierte damals, „bei der Darstellung einer eigens in Auftrag gegebenen Umfrage“ habe „die INSM zu unlauteren Verkürzungen“ gegriffen: Damals „befürworten 63 Prozent der Befragten, dass die nächste Bundesregierung mittlere Einkommen steuerlich entlasten sollte“. Die INSM habe draus gemacht: „63 Prozent der Deutschen fordern: Steuern runter.“
Als hätten Internettrolle die Texte geschrieben
In ihrer aktuellen Kampagne konstruierten die INSM-Leute nun aus der Forderung der Grünen, „Kurzstreckenflüge“ mittels „massivem“ Ausbau der Bahn „bis 2030 überflüssig machen“ zu wollen, das Verbot „Du darfst nicht fliegen“.
Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat in einer Analyse bei Twitter die sprachliche Unbeholfenheit der Anti-Baerbock-Anzeige aufgegriffen. Eine Mini-Polemik gegen den Mindestlohn ist zum Beispiel überschrieben mit: „Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei auswählen.“ Anfangs gelinge es den Wortschmieden der INSM noch, die zehn Gebote zu imitieren, schreibt Strobl. Ein großer Teil des Werbetextes wirke aber so, als hätten ihn „Internettrolle“ geschrieben.
Warum sind Leute, die es wahrscheinlich als unter ihrer Würde betrachten, in Häusern zu leben, in denen nicht sämtliche Wasserhähne vergoldet sind, nicht mal bereit, Geld für jemanden mit Sprachgefühl auszugeben? Liegt es an der Geringschätzung der Kampagnen-Zielgruppe? Andererseits: Vielleicht wäre es auch widersprüchlich, brachiale Inhalte elegant zu verpacken.
Warum haben sich so viele Medienhäuser zum Helfershelfer der Lobbyisten gemacht? Viele Leserinnen und Leser der „Süddeutschen Zeitung“ hätten sich „empört geäußert“, schreibt Judith Wittwer, die Chefredakteurin des Blattes im hauseigenen „Transparenz-Blog“. Ihre Antwort: „Die klare Trennung zwischen Redaktion und Verlag gehört zu den grundlegenden Säulen der Publizistik und ist nicht nur im deutschen Pressekodex, sondern auch im Redaktionsstatut der SZ verankert.“
Bei der SZ macht man sich einen schlanken Fuß
Das ist formal korrekt, dennoch macht sich Wittwer hier einen schlanken Fuß. Die INSM hat die Anzeige nicht nur bewusst anlässlich des Grünen-Parteitags geschaltet, sondern weil sie – klare Trennung von Redaktion und Verlag hin oder her – um das passende redaktionelle Umfeld wusste: Seit einiger Zeit suhlen sich viele JournalistInnen in einem Anti-Baerbock-Hype, der mittlerweile sogar einem konservativen Kolumnisten wie Nikolaus Blome vom „Spiegel“ auf die Nerven geht.
Hinzu kommt: Ein Medienunternehmen kann Anzeigen ablehnen, im aktuellen INSM-Fall haben der „Spiegel“ und „t-online“ dies getan. In den vergangenen Jahren wurden Diskussionen um die Zulässigkeit politischer Reklame in Zeitungen und Zeitschriften vor allem im Zusammenhang mit der AfD geführt. Die taz druckte 2014 eine Anzeige der Partei ab, der „Tagesspiegel“ entschied sich 2016 dagegen, der „Südkurier“ aus Konstanz wiederum ließ im Februar 2021 einer Ausgabe sogar eine komplette AfD-Zeitung beilegen.
Am Wochenende des Parteitags der Grünen ging neben der Anti-Baerbock-Kampagne noch ein weiterer Desinformationsfeldzug über die Bühne. Der betraf die Partei zumindest indirekt. Springer-Journalisten warfen einer Parteitags-Gastrednerin, der Schriftstellerin Carolin Emcke, die Verharmlosung von Antisemitismus vor. Dabei hatte diese vor „strukturellem Antisemitismus in Desinformationskampagnen“ gewarnt, wie es die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil in einer Kolumne für die Plattform „Übermedien“ zusammenfasst. El Ouassil bezeichnet die Angriffe auf Emcke als „klassische Diskurszerstörung, wie wir sie eigentlich eher aus dem trumpschen Wahlkampf kennen“.
Was haben die Kampagneros gegen die Grünen?
Mit „Trumpscher Wahlkampf“ und „klassischer Diskurszerstörung“ ist auch die INSM-Aktion treffend beschrieben. Die Verlage, die das befördert haben, graben sich selbst das Wasser ab, denn Unternehmen, die mit Journalismus Geld verdienen wollen, ist mit der Zerstörung des Diskurses nicht gedient.
Zumindest in einer Hinsicht bleibt die Kampagne ein Rätsel: Was können die Interessenvertreter mächtiger Wirtschaftszweige gegen die Grünen haben? Unter den GastrednerInnen des Parteitags war nicht nur die Schriftstellerin Carolin Emcke, sondern auch der Siemens-Aufsichtsratsvorsitzende Joe Kaeser. „Weite Teile der Wirtschaft“, schrieb die Wochenzeitung „Freitag“ gerade, müssten sich vor den Grünen „alles andere als fürchten“. Das Wahlprogramm sei „pragmatisch, konstruktiv, auf Augenhöhe mit den Chefetagen“. Dass mächtige Personen aus Politik, Wirtschaft und Medien eine Partei, die sich von einer radikalen Gesellschafts- und Wirtschaftskritik bereits im vergangenen Jahrtausend verabschiedet hat, als radikal beschreiben – das ist eine Schrulle bundesdeutscher Debattengeschichte.
Dem 21-köpfigen Kuratorium der INSM gehört – neben den Superreichen Arend Oetker und Randolf Rodenstock– sogar ein Mann an, der 20 Jahre Mitglied bei den Grünen war: Oswald Metzger, der für die Partei von 1994 bis 2002 im Bundestag sowie von 2006 bis 2008 im baden-württembergischen Landtag saß. Seine Analysefähigkeiten sind allerdings beschränkt, er wirkt mittlerweile als „Hauptstadtkorrespondent“ für die rechte Krawallplattform „Tichys Einblick“.
Ein nicht unmaßgebliches Motiv für die Kampagne dürfte der Wunsch der Akteure gewesen sein, ihre Frauenfeindlichkeit ausleben zu können. Sie kommt unter anderem in der Verkindlichung der 40-jährigen Baerbock („Annalena und die zehn Verbote“) zum Ausdruck. Wäre Robert Habeck als Kanzlerkandidat angetreten – hätte die INSM dann die Formulierung „Robert und die zehn Verbote“ gewählt? Wohl kaum.
Von Turner bis Wolf
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wurde im Jahr 2000 von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie gegründet. Als ihre Erfinderin galt die Werbeagentur Scholz & Friends des gebürtigen Stuttgarters Sebastian Turner. Die Lobbyorganisation hat enge Verbindungen zum Institut der deutschen Wirtschaft, zum Institut für Demoskopie Allensbach sowie zu TV-Anstalten und Medienhäusern, bei denen sie ihre Themen setzen. Beliebt sind private Rentenkonzepte, Kritik an der Energiewende, am Klimaschutz und Mindestlohn. Dafür setzt die INSM auch sogenannte „Botschafter“ wie Roland Berger ein. Dadurch habe sie einen neoliberalen Mainstream in den Medien durchgesetzt, sagen Kritiker.
Vorsitzender der INSM ist Stefan Wolf, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der Jurist ist der Sohn eines früheren Chefredakteurs des „Schwarzwälder Boten“ in Oberndorf, und im Brotberuf Vorstandschef des Autozulieferers EllringKlinger in Dettingen an der Erms. Wolf, 59, ist Mitglied bei den Rotariern in Reutlingen, Golfer im Schönbuch und wohnt in einer Villa in Bad Urach. Zusammen mit dem Musicalstar Kevin Tarte. (jof)
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