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Freuds Fotograf

Das Museum für Hamburgische Geschichte würdigt Max Halberstadt: In den 1920er-Jahren in Hamburg hoch gefragt, floh der jüdische „Lichtbildner“ 1936 ins südafrikanische Exil, wo er bald verstarb

Von Frauke Hamann

Sein Blick wirkt konzentriert und klar. Das farbige Selbstporträt zeigt Max Halberstadt (1882–1940) als schlanken Mann mit feinen Zügen, der Ruhe ausstrahlt und sich seines Könnens gewiss ist. Im Museum für Hamburgische Geschichte ist nun sein Vermächtnis zu besichtigen – und seine Lebensgeschichte. Die Ausstellung „… eine künstlerisch begabte Persönlichkeit“ leistet die längst überfällige Würdigung des Hamburger Fotografen.

Wer den Ausstellungssaal betritt, steht gleich doppelt auf Hamburger Boden: Hier ist ein Ausschnitt aus dem Stadtplan um 1910 verlegt. Die Besucher gehen also auf Straßenzügen in blassem Grau mit punktuell eingestreuten Fotografien. An diesen Orten der Stadt fand der Fotograf seine Motive, führte Aufträge für Privat- und Werbekunden aus. Halberstadt fertigte Aufnahmen des 1942 bei Riga ermordeten Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach und seiner Familie, war selbst Mitglied einer jüdischen Loge. Er engagierte sich in der von ihm mitbegründeten „Gesellschaft Deutscher Lichtbildner“, der heutigen „Deutschen Fotografischen Akademie“. Die in Hamburg erscheinende Zeitschrift Photofreund widmete ihm 1920 ein Sonderheft.

Erfolgreich hatte Halberstadt, Sohn eines Schlachters, seine Ausbildung zum Fotografen in Hamburg, Leipzig, München, Basel und Paris absolviert und ab 1907 ein eigenes Atelier betrieben. Seine „künstlerische Bildnis-Photographie“ machte ihn schnell bekannt und zum gefragten Fotografen der 1920er-Jahre. Auch Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, war unter seinen Kunden. Eine folgenreiche Begegnung: 1913 heiratete Halberstadt dessen jüngste Tochter Sophie. Die aber starb 1920 an der Spanischen Grippe: „weggerafft aus blühender Gesundheit, aus voller Lebenstätigkeit als tüchtige Mutter und zärtliche Frau, in vier oder fünf Tagen, als wäre sie nie dagewesen“, schrieb Freud erschüttert. Dem Schwiegersohn fühlte sich Freud dann lebenslang eng verbunden.

Später heiratete Halberstadt Bertha Katzenstein (1897–1982). Und obwohl nicht klar ist, wie eng er sich dem Judentum verbunden fühlte, traf ihn die antisemitische Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik des NS-Regimes mit voller Wucht. Seine wirtschaftliche und persönliche Situation verschlechterte sich, denn Industriefirmen wie Reemtsma, Darboven und Dralle zogen sich wegen seiner jüdischen Herkunft als Kunden zurück. Die Familie musste ihren Wohnsitz aufgeben und richtete sich im Atelier eine Notwohnung ein. Schließlich zwang die Enteignungspolitik der NS-Machthaber Halberstadt, sein Atelier zu verkaufen und zu emigrieren.

Halberstadts Werk ist bis heute präsent. Seine Urheberschaft aber bleibt meist unerwähnt

So ist auch auf dem Hamburger Ausstellungsfußboden eine scharfe Trennlinie zu sehen: Der Stadtplan endet. Die Exponate in diesem Teil des Raumes widmen sich dem Abschied aus Hamburg und der vom NS-Regime erzwungenen Emigration nach Südafrika. Zeugnisse aus der kurzen Zeit im dortigen Exil sind zu sehen, darunter auch der Totenschein. Und es gibt es Fotos, auf Betreiben des Hamburger Publizisten Wilfried Weinke aus verschiedenen Ländern zusammen geholt, von dort also, wo Halberstadts Nachfahren so alles leben – auch dies ein Nachhall seines unfreiwilligen Heimatverlustes.

Die Ausstellung bietet vielfältige Möglichkeiten, seinen Arbeiten zu begegnen. Drei große Leuchttafeln projizieren Porträts, Landschafts- und Werbefotografien. Es sind Hamburgensien: die Innenstadt, der Hafen, der Altonaer Fischmarkt mit seinem Getümmel. Die Bilder sind schwarzweiß, geometrisch klar bis zur Abstraktion, Licht und Schatten scharf kontrastierend. Auch die Platten von Aufnahmen des Jüdischen Friedhofs Altona sowie Fotomontagen für Titelblätter und Artikel der Hamburger Illustrierten Zeitung liegen da. Die Leica im Lederetui, die ihm Kollegen 1936 zum Abschied aus Hamburg überreichten, gehört zu den besonders bewegenden Exponaten.

Dazu präsentieren audiovisuelle Stationen historische Fotoalben, in denen man blättern kann. Exquisite Architektur- und Innenaufnahmen für private Auftraggeber finden sich da: Das Album der Kaufmannsfamilie Hirsch von deren Hamburger Villa etwa ist eine Leihgabe der Erben aus Turin. Aus Melbourne stammt das Album des Wollgroßhändlers Walter Reiss; auch dessen einstiges Hamburger Domizil hat Halberstadt dokumentiert. Familienfotos sind zu sehen, und zu hören Halberstadts Enkelsöhne, wie sie über den Großvater sprechen.

Dessen Werk ist bis heute präsent: Immer wieder nutzen Historiker und Publizisten, Journalisten und Verlage seine Fotografien zur Illustration. Seine ikonischen Freud-Fotografien wurden auf unzähligen Covern gedruckt, von denen die Ausstellung, klar, einige zeigt. Die Urheberschaft aber bleibt meist unerwähnt – sei es, weil man sich nicht die Mühe machte, sie zu klären; sei es aus Nachlässigkeit oder im naiven Glauben, dass die Fotos schlicht frei verfügbar seien. Die im Exil lebenden Erben können das nur schwer prüfen, registrieren bisweilen erstaunt die „Karriere“ eines Halberstadt-Fotos, ohne einen Cent Vergütung zu sehen. Auf diese Art, sagt Kurator Weinke, hätten sich etliche beteiligt „an einer zweiten Auslöschung seines Namens“, Halberstadt gestrichen „aus unserem lokalen wie nationalen Bildgedächtnis“.

In der Tat könnte diese Ausstellung diesen Missstand eindämmen helfen. Dass sie überhaupt möglich war, verdankt sich auch Halberstadts Witwe, seiner Tochter sowie den in Großbritannien und den USA lebenden Enkeln, die Dokumente und fotografische Arbeiten verwahrt und zur Verfügung gestellt haben. Auch Kurator Weinke trägt seit vielen Jahren Material über Halberstadt zusammen. Und so ist dies ein gebauter Erinnerungsraum geworden, Zeugnis eines vielseitigen Schaffens sowie eines erfolgreichen, zugleich beschädigten Lebens.

Das Exil veränderte alles. Zwar konnte Halberstadt 1936 mit seiner Familie nach Südafrika fliehen und 1938 ein Atelier in Johannesburg eröffnete. Doch waren die Arbeitsumstände, die fotografischen und journalistischen Traditionen dort grundlegend andere: In Johannesburg gab es keine Werbung mit Fotos, er musste sich eine neue Marktlücke suchen. Er war 54 Jahre alt, hatte Mühe, sich am Markt zu behaupten und zu integrieren. Es strengte ihn unendlich an, laugte ihn aus. Nach vier Jahren im Exil starb Max Halberstadt 1940 mit 58 Jahren.

„Der Fotograf Max Halberstadt – ‚…eine künstlerisch begabte Persönlichkeit‘“: bis 3. Januar 2022, Museum für Hamburgische Geschichte

Digitale Einführung: https://shmh.de/de/max-halberstadt

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