Auf Sand gebaut
Smartphones, Jeans und Urlaubsträume: In der NDR-Reportage „Sandstrand um jeden Preis?“ zeigt Tobias Lickes, dass der begehrte Rohstoff immer weniger wird
Von Wilfried Hippen
Ein Meeresstrand ist ein Sehnsuchtsort – auch, weil er eine Metapher für die Unendlichkeit der Natur ist. Doch der Sand wird inzwischen knapp, denn mit jedem Hochwasser holt sich das Meer ein wenig Land. Ein schöner Sandstrand wie etwa der von Westerland auf Sylt ist seit langem eine gebaute Landschaft. Jährlich wird der fortgespülte Sand durch Vorspülungen ersetzt. Jedes Jahr wird zwischen April und Oktober Sand vom Meeresgrund in 1.200 Meter langen Rohren an die Strände gepumpt, wo er dann von Baggern und Planierraupen verteilt wird. Dass der Strand danach wieder wie unberührte Natur aussieht, kostet die Steuerzahler*innen 13 Millionen Euro jährlich.
Am Strand von Westerland beginnt Tobias Lickes seine Reportage „Sandstrand um jeden Preis?“, die am Mittwoch in der Reihe „Die Story im Ersten“ in der ARD läuft. An den deutschen Nord- und Ostseeküsten findet er überall das gleiche Problem: die Strände werden weggespült. Und wegen der durch den Klimawechsel verursachten extremeren Wetterbedingungen hat dieses Problem in den letzten Jahren zugenommen.
Und nicht jeder Touristenort hat die Lobby der deutschen Vorzeigeinsel Sylt. In Wangerooge gibt es für die bis zu 80.000 Kubikmeter Sand, die jährlich neu aufgeschüttet werden müssen, kein Geld vom Bund, und die Nordseeinsel muss die Kosten für die nötigen Reparaturen ihrer größten Attraktionen, ohne die die Tourist*innen wegbleiben würden, selber aufbringen.
In Mecklenburg-Vorpommern ist die Lage für einige kleinere Gemeinden noch prekärer: Für die attraktiven Ostseebäder anderswo wird dort vor der Küste von Nienhagen Sand abgebaut, während sich das Meer dort immer mehr in die Steilküste frisst, sodass eine Bungalowsiedlung inzwischen nur noch wenige Meter vor dem Abgrund steht. Der Bürgermeister ist verzweifelt, der zuständige Landesminister zuckt mit den Schultern.
Die Reichen bekommen, den Armen wird genommen – die Geschichte ist so alt wie die Geschichte. Aber das Problem steckt tiefer, denn die Sandvorspülungen sind ein Eingriff in die Meeresökologie, und Lickes hat nicht nur Aline Kühl-Stenzel vom Nabu dazu befragt, für die diese Eingriffe in die Natur extrem schädlich sind, weil sie etwa Unmengen von Schadstoffen aufwirbeln. Er hat auch Wissenschaftler*innen besucht, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Stencil“ den Meeresboden untersuchen, wo Sand abgebaut wurde. Dort gibt es nun nur noch Schlick und der Boden regeneriert sich nur sehr langsam, sodass Flora und Fauna des Meeres massiv geschädigt wurden.
Und Lickes gräbt weiter im Sand, indem er zeigt, dass das Problem global noch viel gravierender ist. Sand ist ein begehrter Rohstoff, der nicht nur für den Bau von Häusern und Straßen, sondern auch für die Produktion von „Brillengläsern, Jeans und Smartphones“ benötigt wird. Und da er immer knapper wird, hat sich inzwischen eine „Sandmafia“ gebildet, die etwa auf den Kapverdischen Inseln oder in Kambodscha illegal Sand abbaut und in die reichen Industrieländer exportiert. In Osterholz bei Bremen wird Sand abgebaut, und da die Grube bald erschöpft ist, soll sie erweitert werden – auch wenn dadurch Wald in einem Landschaftsschutzgebiet abgeholzt werden muss.
Lickes spricht mit einer Naturschützerin sowie einem Offiziellen der Abbaufirma, und dabei wird klar, dass auch in Deutschland inzwischen um Sand gestritten wird. Lickes hat auch ein absurdes Beispiel für das globale Sandschippen gefunden: Für die riesigen künstlichen Inseln, die in Dubai in den persischen Golf gebaut werden, werden viele Millionen Tonnen Sand aus Australien importiert, weil der heimatliche Wüstensand zu körnig ist.
Nur wenige haben sich bisher Gedanken darüber gemacht, dass der Bedarf nach dem sprichwörtlich unermesslich vielen Sand auf der Erde inzwischen auch zu einem ökologischen Problem geworden ist. Und in diesem Sinne ist die sorgfältig recherchierte und solide inszenierte Dokumentation „Sandstrand um jeden Preis?“ ein wichtiger Weckruf.
Die Dokumentation läuft am 28. Juni um 22.50 Uhr im Ersten und ist danach in der ARD-Mediathek abrufbar