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„Die Menschen sollen Spaß an der Arbeit haben“

Ralph Fieling von der anthroposophisch orientierten Lebensgemeinschaft Birkenhof in der Lüneburger Heide erzählt von den kargen Anfängen und der auf ganz eigene Art erfolgreichen Spielzeugproduktion. Die hat Eigenart, ist inzwischen international gefragt, und man könnte viel mehr produzieren. Aber das ist ausdrücklich nicht das Ziel

Interview Petra Schellen

taz: Herr Frieling, wer hat den Birkenhof gegründet?

Ralph Frieling: 1953 hat eine Gruppe von Heilpädagogen aus dem Schwarzwald um den Psychiater Hellmut Kind bei Neetze ein Grundstück aus einer Konkursmasse erworben. Das Gelände hatte ursprünglich Künstlerkolonie werden sollen, ging aber im Zuge der Währungsreform von 1948 insolvent. Es standen einige Gebäude auf dem Gelände, die zunächst weiter genutzt und dann ausgebaut wurden.

Welches war die Zielgruppe?

Damals hatte der Birkenhof noch nicht das heutige, ausschließlich heilpädagogische Konzept. Dort lebten sowohl geistig behinderte als auch vom Zweiten Weltkrieg traumatisierte Kinder. Dieses Konzept hat zehn Jahre lang funktioniert. Wobei die Infrastruktur hier in der Lüneburger Heide kaum entwickelt war. Die Mitarbeitenden mussten teils mit dem Fahrrad nach Lüneburg fahren um einzukaufen, einiges wurde im Winter mit Pferd und Wagen erledigt. Die finanziellen Mittel waren begrenzt, und alles war sehr einfach.

Wer arbeitete dort?

Vor allem ältere Menschen, die dem Impuls gefolgt sind, diese Kinder zu betreuen. Die meisten von ihnen wohnten auch hier, zum Teil mit den Kindern zusammen in Zimmern, die aufgrund der beengten Verhältnisse tagsüber zum Wohnzimmer umfunktioniert wurden.

Wurden sie angemessen bezahlt?

Nein. Das Ganze war noch vor der Sozialreform, und sie bekamen kein Gehalt, eher eine Art Taschengeld. Es war eine große Selbstausbeutung. Irgendwann waren die Mitarbeitenden fachlich überfordert und mit ihren Kräften am Ende. Da man kein neues Personal fand, stand der Birkenhof 1964 kurz vor der Schließung. Hellmut Kind hatte fürs Erste aufgegeben.

War der Birkenhof von Anfang an anthroposophisch ausgerichtet?

Ja, Hellmut Kind und einige Mitarbeiter hatte durchaus diese Orientierung. Aber die übrigen Mitarbeitenden waren Leute aus der näheren Umgebung, die aus Idealismus dort arbeiteten, nicht aufgrund eines speziell anthroposophischen Menschenbildes.

Und 1964 war nicht das Ende.

Nein. Nach einem halben Jahr hat Hellmut Kind in seinen anthroposophischen Kreisen deutschlandweit einen Rundruf lanciert, um zu fragen, ob jemand helfen könne. Es meldete sich Kurt Gäch, ein Arzt aus Schwarzach bei München. Er war anthroposophischer Kinder- und Jugendpsychiater und Neurologe und hat den Birkenhof dann gemeinsam mit seiner Frau neu aufgebaut. Bewohner, die anderswo noch nicht untergekommen waren, kamen zurück, und dann ist die Arbeit weiter gewachsen.

Wie löste Gäch das Personalproblem?

Ihm war klar, dass er junge Leute herholen musste, und das ging nur durch Ausbildung. Die hat er mit Hilfe auswärtiger DozentInnen aufgebaut. Der Abschluss war zwar noch nicht, wie heute, staatlich anerkannt, aber man konnte damit in Deutschland in anthroposophischen Einrichtungen arbeiten.

Hat es funktioniert?

Ja, die jungen Leute kamen. Als ich hier 1980 anfing, war hier kein einziger Mitarbeitender, dafür rund 30 Azubis.

Wer leitete sie an?

Einmal das Ehepaar Gäch, beide MedizinerInnen. Dazu kam der theoretische Unterricht durch besagte auswärtige DozentInnen. Zudem haben die Azubis des dritten Jahrs diejenigen des zweiten und ersten Jahres angeleitet. Allerdings sind die Azubis nach ihrem Abschluss immer woanders hingegangen. Das war nicht so gewollt, aber es war so. Die Zeit hier galt als harte, gute Ausbildung, sechs Tage die Woche, einen Tag frei. Das waren 70-, 80-Stunden-Wochen. Und wir haben das mitgemacht, was ich im Nachhinein erstaunlich finde. Aber da wir auch hier wohnten, waren wir so in diese Gemeinschaft gebettet, dass wir uns aufgehoben und von unserer Arbeit ausgefüllt fühlten.

Wie war die Fluktuation unter den BewohnerInnen?

Niedrig, und das ist sie bis heute. Menschen, die hier einmal angekommen waren und sich wohl fühlten, blieben auch. Einige leben jetzt seit 50 Jahren hier. Heute gibt es drei Erwachsenenhäuser, wo die Menschen in Wohngruppen zusammenleben.

Leben auch die Mitarbeitenden noch auf dem Gelände?

Wer möchte, kann hier wohnen – wie auch ich mit meiner Familie. Meine vier inzwischen erwachsenen Kinder sind hier aufgewachsen, und einer ist schon mit seiner Familie zurückgekommen, um hier zu arbeiten. Auch für mich ist die Gemeinschaft hier mit das Wichtigste. Aber es gibt auch MitarbeiterInnen, die von außerhalb zur Arbeit kommen.

Warum sind Sie auf dem Birkenhof geblieben?

1986 ist Kurt Gäch plötzlich mit 63 Jahren am Herzinfarkt verstorben. Da haben einige von uns beschlossen zu bleiben und den Hof weiterzuführen. So waren meine Frau, die ich hier kennengelernt hatte, ich sowie einige weitere KollegInnen die ersten, die blieben und Familien gründeten.

Welche Behinderungen haben Ihre BewohnerInnen?

Geistige Mehrfach-Behinderungen von autistischen Verhaltensweisen bis zum Down-Syndrom. Einige haben Doppeldiagnosen mit einer kleinen psychischen Komponente. Menschen mit ernsten psychischen Krankheiten wie etwa Schizophrenie dürfen wir allerdings nicht aufnehmen. Dafür bedarf es speziellen psychiatrischen Fachpersonals, das wir hier nicht haben.

Welche Arbeiten bieten Sie den BewohnerInnen an?

Das ist einmal die Holzwerkstatt, in der wir Spielzeug herstellen und weltweit verkaufen. Außerdem gibt es den Brennholz- und Geländebereich mit Waldarbeit und der Pflege unseres rund acht Hektar großen Außengeländes. Das Kamin- und Anzündholz verkaufen wir in die Umgebung. Da fahren die BewohnerInnen gern mit, wenn – in Nicht-Corona-Zeiten – mit Sprinter und Anhänger die Kunden beliefert werden und es dort vielleicht noch Kaffee und Kuchen gibt. Der dritte Bereich ist die Textilwerkstatt, wo die ruhigeren VertreterInnen Handtücher und Ähnliches weben. Der vierte Bereich ist die Hauswirtschaft mit der großen Gemeinschaftsküche.

Ralph Frieling

Jg. 1961, Heilerziehungspfleger, lebt und arbeitet seit 1980 auf dem Birkenhof, den er seit 1995 leitet.

Warum findet ausgerechnet das Birkenhof-Spielzeug internationale Kunden?

In der Tat haben wir auch internationale Großkunden in Australien, Großbritannien, den Niederlanden und den USA. Und was daran besonders ist? Ich würde es nicht speziell anthro­posophisch nennen, obwohl die Ursprungsidee war, Spielzeug für Waldorf-Kindergärten herzustellen. Das lag daran, dass unser Werkstattleiter aus diesem Bereich kommt. Er wollte Spielzeug herstellen, das einen natürlichen Ursprung hat.

Hat es funktioniert?

Ja. Wir verwenden Erlenholz aus der näheren Umgebung – aus dem Wendland und vom biodynamisch orientierten Bauckhof in Amelinghausen. Außerdem verwenden wir Naturöl zur Verarbeitung. Wichtig ist aber vor allem, dass die Sinne der Kinder sensibilisiert werden, dass es schön anzufassen ist und die Fantasie anregt. Wir haben auch lokale Besonderheiten integriert und kleine Häuser geschnitzt, die den Lüneburger Giebelhäusern ähneln. Außerdem wird die geschnitzte Oberfläche zwar geschliffen, aber nicht aalglatt, sodass sie noch Bewegung hat und man die Struktur des Holzes spürt. Auch die Rinde haben wir teils dran gelassen und nur ein bisschen abgebürstet. So etwas gibt es nirgends sonst in dieser Qualität, und das ist wohl der Grund für die Nachfrage.

Ist die so hoch?

Ja. Wir könnten viel mehr verkaufen, aber dann müssten wir den ganzen Birkenhof auf Spielzeugproduktion umstellen. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen vielmehr, dass die 18 BewohnerInnen in der Werkstatt ihre Arbeit haben. Und sie haben einen besonders hohen Anteil an der Qualität und Einzigartigkeit der Produkte. Wir haben mal geschätzt, dass unsere BewohnerInnen mindestens 80 Prozent der Produktion leisten. Bei uns gibt es für jede und jeden einen auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnittenen Arbeitsplatz.

Inwiefern?

Nehmen wir zum Beispiel den Wiederholungseffekt: Damit sich auch BewohnerInnen mit wenig handwerklichen Fähigkeiten weiterentwickeln, bekommen sie nicht nur Geräte – teils eigens gefertigte, möglichst glatt laufende Sägeblätter –, die die Arbeit erleichtern. Sie werden auch angehalten, denselben Handgriff immer wieder zu tun, sodass ein Lerneffekt eintritt und sie gute Qualität liefern. Das hat sich bewährt: Inzwischen sind alle sehr begeistert von ihrer Arbeit, weil sie merken: Das, was ich mache, wird nachgefragt und immer wieder gelobt.

Wenn Produktion und Absatz des Birkenhof-Spielzeugs so gut laufen, müssten Sie doch hoch wirtschaftlich arbeiten und viel Geld verdienen.

Ja, es läuft gut. Aber als Werkstatt für behinderte Menschen dürfen wir ja keinen Gewinn erwirtschaften, allenfalls reinvestieren. Was aber wichtiger ist: Die 18 Menschen, die in der Werkstatt arbeiten, sind nur so schnell, wie sie sind. Wenn man wirtschaftlich dächte, würde man bestimmte Produktionsschritte auf Maschinen umstellen. Aber dann nähme man diesen Leuten die Arbeitsplätze weg. Und unser Grundsatz ist ja nicht, möglichst viel herzustellen.

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