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: Kleine Kollateralschäden

Meine Bankkarte ist weg. Verzweifelt versuche ich mich zu erinnern, wo ich sie abgelegt habe. In meinem Portemonnaie nicht. So sehr ich auf allen Ablageflächen, in allen Schubladen, Taschen und Innentaschen nach ihr suche: Sie bleibt verschwunden. Dabei erinnere ich mich genau, wie ich sie, nachdem ich sie beim Ausräumen der Waschmaschine in der Trommel gefunden und zur Kenntnis genommen hatte, dass ich sie wohl in der Gesäßtasche einer Jeans mitgewaschen habe, bewusst an einem Ort ablegte, der mir logisch erschien. Welcher das gewesen sein könnte – vor allem aber, warum es nicht mein Portemonnaie war – kann ich auch nach längerem Grübeln nicht nachvollziehen.

„Kleiner Corona-Kollateralschaden“, scherze ich in der Bankfiliale, in der ich mit einem durch eine andere Wäsche verblichenen Personalausweis Geld abhebe, als die Bankangestellte befremdet den Ausweis mustert. „Sie hat ihn gewaschen. So wie die Bankkarte, die jetzt weg ist“, schiebt meine Tochter nach. Ich starre peinlich berührt die Wand an.

Noch nie war es um meine Konzentration so schlimm bestellt wie in den Lockdowns. Im ersten Lockdown habe ich meine Sommerkleider aus dem Keller geholt und in Müllsäcken neben die Waschmaschine gestellt. Als ich Tage später schließlich zum Waschen kam, waren die Säcke weg. Ich muss sie – anders lässt es sich nicht erklären – vollkommen übermüdet vom nächtlichen Nacharbeiten aller neben der Kinderbetreuung liegengebliebenen Arbeitsaufgaben in einer Art automatisiertem Ablauf zum Müll gebracht haben. Als ich das Verschwinden bemerkte, waren die Mülltonnen in unserem Hof bereits randvoll. Mit Taschenlampe und Gummihandschuhen schlich ich mitten in der Nacht zu ihnen und räumte sie nacheinander aus, in der Hoffnung, die Säcke mit den Kleidern wiederzufinden. Irgendwann, kopfüber zwischen verfaulten Bananen und ausgekippten Milchresten in einer der Mülltonnen hängend, vernahm ich Schritte und suchte das Weite. Die Vorstellung, von einem Nachbarn überm Müll hängend erwischt zu werden, war zu beschämend. Ich beruhigte mich damit, dass meine Kleider durch den sie umgebenden Müll schon verschimmelt sein mussten, und gewöhnte mich an Jeans und T-Shirts.

Schwerer zu verschmerzen war das Missgeschick mit meinen Haaren: Zu Beginn des ersten Lockdowns hatte ich eines Nachts versucht, die grauen Strähnen, die ich bereits seit geraumer Zeit an den Schläfen habe, mit einem Strähnchenmittel aus einer Drogerie zu färben. Doch schon beim Verteilen der graubraunen Masse war mir die Plastikkopfabdeckung, durch deren Löcher man die einzelnen Strähnen ziehen soll, am Kopf verrutscht. Auch egal, hatte ich gedacht, und die Masse mutig über den gesamten Haaransatz verteilt.

Die Folge war ein knallgelber Haarscheitel, der sich nur noch mit Mützen bedecken ließ. Erst fand ich meinen Anblick lustig, dachte, das Punkige passe auch irgendwie zum Ausnahmezustand. Aber als ich auf der Arbeit wieder Präsenz zeigen musste, überkam mich doch ein ungutes Gefühl. Es brauchte einige Wochen und erneute Färbungen, ehe ich mich ohne Mütze aus dem Haus wagte.

Dagegen ist die Sache mit der Bankkarte und dem Personalausweis nichts. Den Personalausweis brauche ich an und für sich gar nicht, da ich schließlich noch einen Pass besitze. Eine neue Bankkarte ist bereits bestellt. Und weitere Missgeschicke, hoffe ich sehr, werden mir nicht passieren. Für die Wäsche habe ich inzwischen einen Korb. Das Färben der Strähnen ist mittlerweile ein Kinderspiel. Und der Inhalt der Kleidung, die in die Waschmaschine kommt, wird ab jetzt streng kontrolliert. Eva-Lena Lörzer