: Hohes Spaltungspotenzial
Mit ihrem neuen Buch verstört Sahra Wagenknecht wieder einmal die eigene Partei. Der von Wagenknecht geschmähte ehemalige Vorsitzende kontert in Kontext.

Von Bernd Riexinger↓
Als vermeintlichen Beleg für deutsche Lifestyle-Linke, die all jene, die „die Vorgaben des linksliberalen Weltbildes beherzt ignorierten“, direkt „rechtsradikaler Sympathien verdächtigen“ würden, zitiert Sahra Wagenknecht in ihrem neuen Buch „Die Selbstgerechten“ auch den „damaligen Vorsitzenden einer deutschen linken Partei, dessen Name heute zu Recht vergessen ist“. Gemeint ist Bernd Riexinger, der von Juni 2012 bis Februar 2021 Parteivorsitzender der Linken war. In Kontext antwortet er auf Wagenknechts „zum Teil hanebüchene Abrechnung“.
Die pauschale Kritik an der eigenen Partei, in der Lifestyle-Linke die Führung übernommen hätten, verbunden mit einer zum Teil hanebüchenen Abrechnung und pauschalen Abwertung wichtiger sozialer und ökologischer Bewegungen wie Fridays for Future, Unteilbar, antirassistischen Bewegungen, Aktion Seebrücke – all das ist hoch gefährlich, ist doch die Linke aktiver Teil dieser Bewegungen und betrachtet sie als wichtige Bündnispartner. Sie als Lifestyle-Linke abzustempeln ist großer Unsinn und hat gleichzeitig hohes Spaltungspotenzial.
Einmal davon abgesehen, dass in grobschlächtiger Art und Weise eine inzwischen konservativ-sozialdemokratische Angehörige der klassischen akademischen Mittelschicht die von ihr ausgemachte neue moderne akademische Mittelschicht der Städte ins Visier nimmt, ist ihr gesellschaftlicher Gegenentwurf ein, nach dem gescheiterten „Aufstehen“, zweiter Versuch einer sozialdemokratischen Revitalisierung. Der aufgemachte Gegensatz zwischen sozialökonomischer Politik für Lohnabhängige und dem Engagement gegen Rassismus, Ausgrenzung von Menschen anderer sexueller Orientierung, also der von ihr so bezeichneten skurrilen Minderheiten, die ihre „Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, die sie von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden“, ist falsch.
Linke Politik verbindet die Frage der Ausgrenzung der sogenannten Minderheiten mit den sozialen Fragen und hebt die gemeinsamen Interessen hervor. Viele Aussagen im Buch, etwa zur Frage der Migration, widersprechen grundsätzlich der linken Programmatik. Die Linke löst die im Kapitalismus ständig vorhandene Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen, Lebenschancen nicht durch Begrenzung der Einwanderung, sondern durch Mindestlöhne, flächendeckende Tarifverträge, Schaffung bezahlbaren Wohnraums und mit einem inklusiven, die soziale Benachteiligung ausgleichenden Bildungssystem.
Ausführlich mit Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“ und den Thesen der Linken-Politikerin befasst sich in der aktuellen Online-Ausgabe von Kontext auch Tomasz Konicz in seinem Text „Im wunschgedachten Wirtschaftswunderland“.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen