piwik no script img

Stigmatisierung mit guter Absicht

Initiativen kritisieren eine Umfrage der Stadt Hannover. Die will herausfinden, wie Obdachlose leben

Eine Online-Umfrage der Stadt Hannover zum Thema Wohnungslosigkeit stößt bei Unterstützern der Betroffenen auf Kritik. Die Erhebung sei intransparent und stigmatisierend, erklärten die Initiative „Armutstinkt“ und der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit am Dienstag. Die Stadtverwaltung hatte die Umfrage am Montag mit einer Plakatkampagne gestartet.

Die Erhebung soll nach den Worten von Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) ein besseres Verständnis für die Vielfalt der Lebenslagen wohnungsloser Menschen wecken, um für diese dann passgenaue Unterstützungsangebote entwickeln zu können. Gefragt wird etwa danach, wo sich Wohnungslose aufhalten, welche Hilfsangebote sie nutzen und wie groß die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist. Für Menschen mit und ohne festen Wohnsitz gibt es unterschiedliche Fragebögen.

Schon die ersten Fragen an Menschen mit einem festen Wohnsitz zeigten stigmatisierende Tendenzen, die sich im Verlauf des Fragebogens weiter verfestigten, bemängeln die Kritiker der Erhebung. So impliziere die Frage, ob und wo wohnungslose Menschen im Stadtbild wahrgenommen würden, diese seien „schon im Vorbeigehen“ zu erkennen. Eine solche Annahme lasse die unterschiedlichen Lebenssituationen wohnungsloser Personen aber völlig außer Acht.

Probleme in der Nachbarschaft?

Weitere negative Zuschreibungen erfahren Wohnungslose den Kritikern zufolge bei der Frage, wie Menschen ein Hilfsangebot für Obdachlose in der eigenen Nachbarschaft beurteilen. Als Antwort werde hier vorgeschlagen: „Grundsätzlich gut, aber ich sorge mich um Probleme in der Nachbarschaft.“ Durch diese Antwortmöglichkeit würden diskriminierende Vorurteile reproduziert, die wohnungslose Menschen als Störfaktor darstellten. Dabei bleibe unbeachtet, „dass nicht der wohnungslose Mensch an sich ein Problem ist, sondern die elendigen Lebensverhältnisse, denen wohnungslose Menschen ausgesetzt sind“.

Die stigmatisierenden Tendenzen der Umfrage würden auch dadurch deutlich, dass lediglich die Wohnungsinhaber nach ihrem ehrenamtlichen Engagement gefragt würden. Nicht berücksichtigt werde dabei, dass sich viele wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen selbst stark ehrenamtlich engagierten. (epd)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen