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Nachwuchs ausgelagert

Als sechster Bundesligist schafft der VfL Wolfsburg seine U23-Mannschaft ab, wählt aber ein neues Modell: Die Ausbildung der Toptalente übernimmt komplett ein anderer Klub

Von Ralf Lorenzen

Am 24 Oktober des vergangenen Jahres verlor die U23-Mannschaft des VfL Wolfsburg in der Regionalliga Nord gegen die U23 von Werder Bremen mit 1:2. Was damals niemand wusste: Es war das letzte Spiel dieser Mannschaft überhaupt. Erst folgte der coronabedingte Abbruch der Saison in der Regionalliga Nord, dann verkündete Wolfsburg in der vergangenen Woche, die U23 „zur neuen Saison aus dem Spielbetrieb abzumelden und aufzulösen“.

Damit folgen die Wolfsburger einem Trend und ist nach Union Berlin, Arminia Bielefeld, RB Leipzig, Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt der sechste Erstliga-Club, der auf eine Reserve als älteste Ausbildungsmannschaft verzichtet. Der Schritt von der Regionalliga in die Bundesliga sei einfach zu groß, sagte Wolfsburgs Sportdirektor Marcel Schäfer. Eine Klasse höher, in der Dritten Liga, hält sich nur noch der hochbezahlte Nachwuchs von Bayern München. Und selbst der ist – in Konkurrenz zu den Nicht-Bundesligisten, die ihre erste Elf ohne Altersbegrenzung ins Rennen schicken kann – vom Abstieg akut bedroht.

„Man muss zudem festhalten, dass der finanzielle, personelle und logistische Aufwand schon lange in keinem vertretbaren und vernünftigen Verhältnis zum Ertrag stand“, sagt Schäfer. Doch während die anderen Bundesligisten ohne U23 ihre Toptalente individuell an Clubs im In- und Ausland ausleihen, damit sie sich zur Bundesliga-Reife entwickeln, gehen die Wolfsburger einen neuen Schritt.

Talentschmiede in Österreich

Wie man es von der Auto-Produktion des Mutterkonzerns kennt, lagern die Wölfe gleich die ganze Abteilung aus. Der Klub hat mit dem österreichischen Erstligisten SKN St. Pölten einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, wo sich die Toptalente auf höherklassigem Niveau weiterentwickeln sollen. Damit könnte der niederösterreichische Klub zu einer Art Farmteam der Wolfsburger werden, wie man sie aus dem Ausbildungssystem der US-amerikanischen Profiligen kennt.

„Sie haben ein schönes Stadion und eine tolle Infrastruktur, dazu ein tolles Nachwuchs-Leistungszentrum. Dazu ein sehr erfolgreiches Frauen-Team“, sagt Schäfer.

Da mit Sicherheit nicht alle Spieler des aktuellen U23-Kaders der Wolfsburger nach St. Pölten verliehen werden, bedeutet diese Entscheidung für einige Spieler und Trainer, dass sie den Verein verlassen müssen. Der Klub kündigte an, sich um sozialverträgliche Lösungen bemühen zu wollen.

Für den Fußball bedeutet diese neue Stufe der internationalen Arbeitsteilung bei der Ausbildung von Profifußballern ein weiteres Auseinanderdriften von Profi- und Amateurfußball auf nationaler Ebene. Für Klubs aus Flensburg, Delmenhorst oder Altona stellen die Begegnungen gegen den Profi-Nachwuchs immer noch Highlights dar. Der VfL Wolfsburg hatte von allen Profiklubs der Regionalliga Nord in der letzten Saison mit 473 Zuschauern den höchsten Besucherschnitt.

Die Trennung der Fußballwelten wird sich nochmal vergrößern, wenn das Zukunftskonzept des Deutschen Fußball-Bundes umgesetzt wird, das auch für den U17- und U19-Bereich eigene Wettbewerbe der Nachwuchsleistungszentren vorsieht. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Ausbildung zu oft auf der Strecke bleibt, wenn es hauptsächlich um Tabellenplätze geht.

Werder will seine U23-Mannschaft behalten

Eine Doppelstrategie will Werder Bremen weiterverfolgen. Toptalente, die kurz vor dem Sprung in die Profi-Mannschaft stehen, werden verliehen, um sich den letzten Schliff zu holen. Für die Breite des Nachwuchses bleibt die U23 aber bestehen.

„Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die U23 die letzte und wichtigste Ausbildungsmannschaft bei uns ist“, sagte Werders Sportchef Frank Baumann der taz.

Baumann verweist auf erfolgreiche Beispiele wie Florian Grillitsch, Maximilian Eggestein, Davie Selke oder zuletzt Eren Dinkci. Eine feste Kooperation mit nur einem Verein sei für Werder Bremen nicht der passende Weg.

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