Gewalt von rechts nimmt zu

Das Monitoring der Kieler Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt zeigt Abweichungen zu Polizei-Statistiken

Gerade Geflüchtete litten durch die Coronamaßnahmen unter Isolation. Die Taten wirkten so noch länger nach

Von Esther Geißlinger

Am Rand einer AfD-Veranstaltung fährt ein Wagen in die Gegendemonstration, vier Personen werden verletzt – einer der Vorfälle des Jahres 2020, die das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) als rechts-motivierte Tat zählte. Die Jahresstatistik, die der Zebra-Berater Kai Stoltmann am Montag vorstellte, umfasste 79 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten. 2019 hatte Zebra 57 Fälle gezählt, durch Nachmeldungen kamen 64 zusammen. Auch für 2020 rechnet Stoltmann mit Nachmeldungen. „Rechte Gewalt ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern überall verankert“, sagte der Berater.

In Schleswig-Holstein wurden die meisten Taten in Kiel und Neumünster begangen, gefolgt von den Kreisen Segeberg – wo sich ein Ableger des rechtsextremen Aryan Circle gegründet hat – und Stormarn. Nur aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg wurde kein Vorfall gemeldet. Insgesamt gab es 153 Opfer der gezählten Taten. Meist kannten sich Täter und Betroffene nicht, berichtet Stoltmann: „Bei einem zufälligen Aufeinandertreffen im öffentlichen Raum kommt es zu einer Zuschreibung, etwa: Du bist ein Geflüchteter, du bist schwul.“

Opfer sind neben ausländisch gelesenen Personen vor allem politische Geg­ne­r*in­nen sowie Personen der LGBTQ-Szene. Nicht nur im Norden, auch bundesweit steigen die Zahlen, davon geht auch der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) aus. Viele Taten bleiben aber mutmaßlich im Dunkeln, und durch Corona werde das eher mehr, befürchtet Stoltmann: „Viele Informationen stammen von Initiativen und politischen Gruppen, die sich aktuell seltener treffen.“

Die Daten der Polizei zeigen das Geschehen anders als die Beratungsstellen, kritisiert der VBRG: „In den Jahresbilanzen der Strafverfolgungsbehörden der Länder und des BKA fehlen zahlreiche Gewalttaten aus 2020.“ Auch in Schleswig-Holstein ist der Fall der Autofahrt in die Kundgebung nicht als rechte Tat erfasst, zeigte eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Tobias von Pein.

Stoltmann nennt als einen Grund, dass die Polizei nur eine Eingangsstatistik führt und nicht immer ein Motiv aufnimmt. Aus Sicht des Dachverbandes werde das Ausmaß der Taten unterschätzt, das „verschleiert die tödliche Dimension rechter Gewalt und lässt die Betroffenen im Stich“. Auch Kai Stoltmann betont, wie wichtig ein zivilgesellschaftliches Monitoring sei, bei dem auch Nachmeldungen berücksichtigt werden. Auch für die Opfer sei es wichtig, dass über die Taten gesprochen werde. Gerade Geflüchtete litten durch die Coronamaßnahmen unter Isolation. Die Taten wirkten so noch länger nach.