: Kommt jetzt die Rechts-Mitte-Links-Regierung?
In Israel ist Netanjahu mit der Regierungsbildung gescheitert. Nun versucht es Oppo- sitionsführer Jair Lapid. Schafft er es nicht, kommt es zur fünften Wahl in gut zwei Jahren
Aus Tel Aviv Judith Poppe
Um 0 Uhr in der Nacht auf Mittwoch, als die Frist ablief, war es offiziell: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist nach der Parlamentswahl im März mit der Bildung einer neuen Regierung gescheitert. Am Nachmittag dann beauftragte Staatspräsident Reuven Rivlin Oppositionsführer Jair Lapid, eine Regierung zu bilden. Netanjahus politische Zukunft ist damit offen. Gelingt es Lapid, eine Koalition zusammenzuzimmern, könnte die Likud-Partei zum ersten Mal seit zwölf Jahren in die Opposition gedrängt werden. Aber auch eine Neuwahl ist für den Fall des Scheiterns Lapids nicht ausgeschlossen. Für die Israelis wäre es der fünfte Urnengang in gut zwei Jahren.
Die Aufregung in Israel allerdings hielt sich am Mittwoch in Grenzen. Nach den vergangenen Wahlen, die nicht zum Ziel einer stabilen Regierung führten, haben sich viele daran gewöhnt, dass irgendwo im Hintergrund Regierungsverhandlungen laufen. 70 Prozent der Israelis glauben sogar, dass das Land auf eine fünfte Wahl zusteuert. Das ergab eine Umfrage des Israelischen Demokratieinstituts, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Lapids zentristische Zukunftspartei war als zweitstärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. Der 57-Jährige dürfte sich nun bemühen, eine breite Einheitsregierung, bestehend aus Parteien von rechts bis links, zusammenzustellen. Er hat bereits erklärt, er sei bereit, sich das Amt des Ministerpräsidenten mit dem früheren Netanjahu-Verbündeten Naftali Bennett zu teilen. Bennett wird die Rolle eines Königsmachers zugeschrieben, obwohl seine rechte Jamina-Partei nur sieben Sitze im Parlament hat. Bislang gab es allerdings keine Vereinbarung zwischen Bennett und Lapid.
Die Chancen des Anti-Netanjahu-Lagers, eine Regierung zu bilden und Netanjahu tatsächlich abzulösen, stehen dieses Mal höher als nach den vergangenen drei Wahlen. Dies liegt zum einen am Gegenwind, den Netanjahu aus den eigenen Reihen erfahren hat. Es liegt aber auch an Netanjahu selbst: Im Vorfeld der Wahl hatte er ein Tabu gebrochen und eine Koalition mit der islamisch-konservativen Partei Ra’am nicht ausgeschlossen. Dies könnte nun seinen Gegnern nutzen: Denn auch eine Einheitsregierung unter Lapid wäre auf Ra’am oder die arabisch geprägte Vereinte Liste angewiesen.
Das Problem einer Einheitsregierung, von rechts bis links, von zionistisch-jüdisch bis islamisch, dürfte sein, die tiefen ideologischen Gräben zu überbrücken. Selbst wenn es für eine Regierungsvereinbarung reichen sollte, dürfte es schwer werden, die Koalition aufrecht zu erhalten. Die Ziele von Siedlerführer Bennett etwa in Bezug auf die Politik im Westjordanland oder im Gazastreifen sind grundlegend andere als die der Ra’am-Partei oder der linkssozialistischen Partei Meretz.
Außerdem ist nicht ausgemacht, dass Bennett überhaupt mitzieht, der sich eigentlich als künftigen Anführer einer dezidiert rechten Regierung sieht. Bennett muss sich um Wählerstimmen sorgen. Möglicherweise kann er aber mit einem Kompromiss ins Boot geholt werden: Obwohl Jamina nur sieben Sitze erhalten hat, könnte es sein, dass Bennett in einem Rotationsverfahren als erster Regierungschef würde und erst später von Lapid abgelöst würde.
Das endgültige politische Aus für Netanjahu, der derzeit in drei Korruptionsfällen vor Gericht steht, würde eine Regierung des Anti-Netanjahu-Lagers allerdings nicht bedeuten, meint Amir Fuchs vom Israelischen Demokratieinstitut in Jerusalem. „Würde sich nun eine stabile Regierung mit Aussicht auf eine vierjährige Amtszeit bilden, könnte ich mir vorstellen, dass Netanjahu sich aus dem politischen Leben verabschiedet und sich um seinen Gerichtsprozess kümmert“, sagt Fuchs. Eine solche aber sei momentan in weiter Ferne. Netanjahu bliebe also die Chance auf ein politisches Comeback.
Und sollte auch das Anti-Netanjahu-Lager in den nächsten Wochen mit der Regierungsbildung scheitern und es erneut zu einer Neuwahl im Herbst kommen, würde der Vorsitzende der Partei Blau-Weiß, Benny Gantz, im November Ministerpräsident. So wurde es festgelegt, als die letzte Regierung im Mai 2020 gebildet wurde.
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