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Archiv-Artikel

Eine Kanufahrt ist lustig

PADDELN Eigentlich sollte es ganz leicht gehen. Hat zumindest der Junge vom Verleih gesagt. Doch auf den Weiten der Eider zeigen sich dann die Tücken des Kanufahrens. Geradeaus fahren zum Beispiel ist gar nicht einfach

Das Einsteigen klappt problemlos, davor hatte ich eigentlich am meisten Schiss; nur das Fahren wird zum Problem

VON AMADEUS ULRICH

Schon wieder paddeln wir mit vollem Tempo ins Schilf, es raschelt, wir sitzen fest. „Scheiße“, sage ich, Dario nickt. Irgendwo schnattert eine Ente. „Irgendwas machen wir falsch“, erkennt Dario und schlägt vor, langsamer zu paddeln und vor allem synchron, damit wir nicht ins Schlingern geraten.

Dabei hieß es bei der kurzen Einführung vor einer Stunde, Kanufahren sei „ganz easy“. Es ist Mittwochmittag, die Sonne brennt, der Himmel sieht aus wie eine Aquarellzeichnung, Blau auf Weiß. Dario und ich sind nach Achterwehr gefahren, einem Örtchen in der Nähe von Kiel, um mit einem Kanu über die Eider zu paddeln.

Die Eider ist fast 200 Kilometer lang und somit der längste Fluss Schleswig-Holsteins. Dennoch ist er längst nicht so bekannt wie die Flusspromis Elbe, Donau, Weser oder Rhein; sie kennt man, die Eider sorgt für Kopfschütteln. Dabei markierte sie vor mehr als zweihundert Jahren sogar die Südgrenze Dänemarks. Selbst die Wikinger sind schon über diesen Fluss gefahren.

Die Männer mit den Helmen konnten gewiss besser mit Booten umgehen als wir, die vom 15-jährigen Knud Röder vor Beginn unserer Tour eingeführt werden. Wir erwarten eine längere Erklärung, wie wir das Paddel zu halten haben, was genau wir tun müssen, wenn wir auf Entenküken zudreschen. Aber nichts dergleichen. „Einfach rein ins Boot und drauflospaddeln, irgendwann habt ihr’s schon drauf.“ Knud hat blonde, nach oben gegelte Haare. Seine Eltern, denen der Kanuverleih gehört, sind momentan im Urlaub, er verdient sich ein paar Tacken dazu.

Das Einsteigen klappt problemlos, davor hatte ich eigentlich am meisten Schiss; nur das Fahren wird zum Problem. Dario und ich schlingern hin und her, rasen mit unserem silbernen Kanu Nummer 26 immer wieder aufs Schilf zu. Wer die Wasserspur betrachtet, die wir hinterlassen, könnte meinen, wir seien betrunken. Wir entscheiden uns, zuerst Richtung Norden zu fahren, um auf den Nord-Ostsee-Kanal zu stoßen, meist schlicht NOK genannt.

Eine Brise kühlt uns, das Wasser des Flusses ist ruhig, wir scheinen zu gleiten. Goethe würde sagen: „Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen“, Dario sagt schlicht: „Wirklich schön hier.“ Er muss nicht laut sprechen, denn es ist still, nur Enten schnattern im Gebüsch. Am Ufer steht ein Collie mit einem Ball in der Schnauze und guckt uns zu, wie wir über den Fluss paddeln. Durch Seerosen schlängeln sich Haubentaucher, im Schilf steht anmutig ein Fischreiher und wartet auf den richtigen Augenblick. Erst hätten wir ihn gar nicht erkannt, so gut getarnt ist der Halunke.

Plötzlich zerreißt Schlagermusik die Stille, sie bringt uns zurück in die Jetztzeit, die es leider Gottes auch hier gibt. Die Musik kommt von einem Floß, das der Kanuverleih für bis zu zwölf Personen ebenfalls anbietet. Im Schneckentempo kann man damit über den Fluss tuckern, sein Bierchen trinken und ins Wasser springen. Eines dieser Flöße fährt vor uns; zwei Bierkästen stehen auf dem Deck. „Angeber!“, rufen die Männer mit den Bärten und Karohemden, als Dario und ich vorbeipaddeln.

An Bord haben wir Kekse, Chips und Apfelschorle. Gerade als wir denken, dass wir noch stundenlang so weiterfahren könnten, fahren wir auf die Schleuse Strohbrück zu. Ein rot-weißes Schild versperrt uns den Weg. „Aus Standsicherungsgründen geschlossen“ steht darauf.

Wir halten am Rand, um zu prüfen, ob wir die Schleuse nicht selbst öffnen können. Auf der Brücke treffen wir ein älteres Pärchen, das mit seinem Hund spazieren geht, der schon ganz aufgeregt an der Leine zergelt. Er will zum Wasser. Wir fragen sie, was es mit der geschlossenen Schleuse auf sich hat. Die Kurbeln sind schon lange verrostet, die Schleuse mit Brettern zugenagelt. „Die ist schon ewig zu“, verrät uns der ältere Herr.

Wir überlegen kurz, ob wir unser Kanu herübertragen. Als wir jedoch sehen, was für Schiffe auf der anderen Seite der Schleuse fahren, legen wir diesen Plan wieder ad acta. Denn dort fließt der NOK, riesige Dampfer und Container preschen Richtung Kiel. Dario und ich setzen uns ans Wasser auf einen der durch die Sonne erwärmten Steine und beobachten die großen Schiffe, die unser Kanu flugs unter einer Flutwelle begraben würden.

Also fahren wir zurück. Etwas bedröppelt fragt Dario: „War’s das jetzt schon?“ Wir können nicht wissen, dass das Beste noch kommt: die Fahrt in den Süden. Die Eider ist in dieser Richtung schmaler, verwachsener, sodass wir uns an Ästen vorbeimanövrieren müssen, was sich bei unserem delinquenten Fahrstil als schwierig erweist. Oft müssten wir abrupt die Ruder ins Wasser rammen, um das Kanu abzubremsen, damit der Vordermann keinen Ast ins Gesicht bekommt.

Während ich auf meinen Notizblock kritzele, der schon halb durchnässt ist, fährt Dario mit Absicht ins Schilf. Er findet es witzig, lacht herzhaft. Inzwischen fahren wir an Pferdekoppeln vorbei, die Pferde strecken ihre Nasen in unsere Richtung. „Das hier ist wirklich unberührte Natur“, sagt Dario erstaunt. Dünne Äste eines Baumes hängen im Wasser, sie sehen aus wie ein Vorhang.

Auf der anderen Seite des Vorhangs treffen wir eine Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder, die zu viert in einem Kanu sitzen. „Moin, moin“, rufen sie uns entgegen, wie jeder, dem wir begegnen. Dario will sie direkt überholen, doch diese Hybris führt letztlich dazu, dass wir sie rammen. Die Kinder lachen, ich schüttele den Kopf. Als wir uns befreit und tausendmal entschuldigt haben, paddeln wir drauf los. „Dich hat der Ehrgeiz gepackt, wa?“, sagt der Vater in dem Kanu, während wir wie wahnsinnig das Letzte aus uns rausholen. Vergeblich. Wir landen im Schilf, wo sonst. Die Familie zieht entspannt an uns vorbei, die Kinder strecken ihre Zungen heraus und winken uns zum Abschied zu.

Nach drei Stunden Fahrt sehen wir das wohl Schönste an diesem Mittag: Denn die Eider, sonst so verwachsen und eng, mündet in einen riesigen See, dem fünftgrößten Schleswig-Holsteins und vielleicht dem schönsten: dem Westensee; dort ist auch ein Seeadler-Schutzgebiet. Hier sind Menschen rar, nur Schwäne sehen wir in der Ferne, die flugs im Schilf verschwinden. Saftiges Grün überall, es fühlt sich an, als wären wir im Urlaub, weit weg, ganz sicher nicht in Deutschland. In der Mitte des Westensees legen wir uns ins Kanu, mampfen Kekse, lauschen dem Wasser. Jegliche Frage ist weggespült, bis auf eine: Wann kommen wir wieder?

Kanu- und Bootsverleih Achterwehr, Am Speicher 3, 24239 Achterwehr