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Archiv-Artikel

Center gegen Zentrum

EINKAUFEN Der Unternehmer Alexander Otto baut Shoppingmalls in ganz Deutschland. Er lockt die Menschen aus den Läden der Innenstädte in eine Welt von Kunstlicht und Foodcourts. Gerade will Otto Bochum – zufällig die Stadt des Maklers Eckhard Brockhoff. Und der gibt nicht so schnell auf

AUS BOCHUM JOHANNES GERNERT (TEXT) UND BERND LANGMACK (FOTOS)

Die sahen aus, sagt Eckhard Brockhoff, als würden sie bei der Krankenkasse arbeiten. Ganz biedere, korrekte Typen. Es waren sechs, Brockhoff erinnert sich genau. Sie saßen neben ihm, am Tisch der Oberbürgermeisterin im Restaurant Living Room, Bochum. Es war der Abend des 7. November 2006. Am Vormittag hatte Brockhoff mit Stadtbauräten, Einkaufssoziologinnen und Stadtplanern auf einem Podium diskutiert: „Blüht die City auf?“ Ein Vormittag voller Ideen zum Shoppen in Bochums Zentrum. Jetzt saßen da diese sechs Männer aus Hamburg am Tisch und redeten auf die Oberbürgermeisterin ein.

„Die sind darauf geschult, Bürgermeister einzulullen“, sagt Brockhoff. Sie redeten Bochum schlecht, seine Stadt.

Sie würden, sagten die sechs Männer aus Hamburg, in der Innenstadt gern ein Shoppingcenter bauen. Um sie attraktiver zu machen. Die Oberbürgermeisterin schien sich zu freuen. Und Eckhard Brockhoff wusste, was er zu tun hatte: Er verkaufte sein Haus in der Fußgängerzone, so schnell er konnte.

Eckhard Brockhoff, 54 Jahre alt, geboren in Bochum, ist kein ängstlicher Mensch. Er besitzt eine Immobilienfirma namens Brockhoff & Partner, die er Immobiliengruppe nennt. Er, der ehemalige Stoffhändler, trägt maßgeschneiderte Anzüge in Übergröße, fährt einen Range Rover mit verdunkelten Scheiben und hat sich seinen Namen über die Tür seines Firmensitzes meißeln lassen. Eckhard Brockhoff gibt den „Brockhoff“ heraus, den „Atlas der 1A-Lagen“, in dem jede wichtige Fußgängerzone, Schaufenster für Schaufenster, verzeichnet ist. Er verkauft und vermietet Läden in Innenstädten, am liebsten an die Großen, die Filialisten. H&M, dm, Saturn. Brockhoff ist nicht ängstlich, aber er ist seit 25 Jahren im Geschäft. Er weiß, wofür ECE steht. Das Unternehmen aus Hamburg, das die sechs Männer geschickt hatte. Der Konzern, der Innenstädte umbaut, als wären sie aus Lego. Für ECE wollen die sechs ein Shoppingcenter mitten in Bochum durchdrücken.

In Hameln hat ECE das Shoppingcenter schon gebaut, 2008 eröffnete es. Auch in Hameln besaß Eckhard Brockhoff einmal ein Haus in der Fußgängerzone. Er hat es verkauft. Von heute aus betrachtet, würde er sagen, dass er recht behalten hat. „Hameln ist tot“, sagt Eckhard Brockhoff.

Der Milliardärssohn mit Harvard-Abschluss

444 Shoppingcenter gibt es in Deutschland, so zählt es das EHI Retail Institute aus Köln in seinem aktuellsten „Shopping-Center-Report“. Allein in den Jahren 2010 und 2011 sind 166 neue Center dazugekommen. Der größte Entwickler dieser überdachten, künstlich beleuchteten Einkaufsstraßen ist die ECE Projektmanagement GmbH – nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. ECE ist der weniger bekannte Strang der Otto-Gruppe. Es gibt den Otto-Versand mit seinem Katalog, seit 1949. Und es gibt ECE, die Einkaufscenter-Entwicklungsgesellschaft, seit 1965. An der Spitze des Unternehmens steht Alexander Otto, ein freundlicher Harvard-Absolvent mit randloser Brille, Milliardärssohn, geboren 1967. Seit 2000 ist Alexander Otto ECE-Chef.

„Der Otto ist ein sympathischer Mann, ein kultivierter, netter Kerl“, sagt Eckhard Brockhoff. „Ich wünschte, dass es den nicht gäbe.“

Eckhard Brockhoff vermietet deutsche Fußgängerzonen. Und Alexander Otto seine Center – direkt neben der Fußgängerzone. ECE wird bald 100 Einkaufscenter in Deutschland betreiben, die neuesten setzt Ottos Unternehmen mitten in die City, als eigene geschlossene Einkaufsuniversen. Der Makler Brockhoff will die großen Ketten, Deichmann, Douglas, Rossmann, in die Fußgängerzone holen. Alexander Otto richtet ihnen seine eigenen Zonen ein – und zieht Brockhoff die Kundschaft ab.

Ihr Ziel ist das gleiche: Filialisten in Städte bringen, in immer kleinere Städte. Eckhard Brockhoff war in den Weihnachtsferien in Bad Tölz. Sehr geringer Filialisierungsgrad. Sehr interessante Stadt.

Es geht bei alledem nicht nur um die Millionen von Eckhard Brockhoff und die Milliarden von Alexander Otto. Ihr Wettbewerb wirft eine viel grundlegendere Frage auf: In was für einer Innenstadt wollen wir einkaufen? Es ist eine Frage, um die nicht nur Unternehmer wie Brockhoff und Otto ringen, sondern auch Bürgermeisterinnen, Stadträte, Ladenbesitzer, Lebensmittelkonzerne, Einzelhandelsverbände, Modeketten und engagierte Bürgerinnen.

Es stehen sich in dieser Auseinandersetzung zwischen Eckhard Brockhoff und Alexander Otto zwei Modelle einer Einkaufskultur gegenüber: die europäische und die aus den USA. Die europäische ist gewachsen, die amerikanische ist gebaut.

Bochum, seine Heimatstadt, hat Brockhoff noch nicht aufgegeben. Auch wenn die Eiszeit längst angefangen hat, die ECE-Eiszeit. Der kalte Krieg, sagt Eckhard Brockhoff. Mit offenem Lodenmantel schnauft er über das kaugummiverklebte Pflaster der Bochumer Kortumstraße, Richtung 1A-Lage. Die 1A-Lage, die beliebteste Schaufensterlage im Stadtzentrum, sie schnurrt zusammen. Es sind jetzt vielleicht noch 800 Meter mit guten Läden, 16 Häuser, wenn überhaupt.

ECE kündigt öffentlich an, dass es in einer Stadt ein Shoppingcenter bauen will. Und Brockhoffs Geschäfte frieren ein. Kaum ein Filialist mietet mehr einen neuen Laden in der Fußgängerzone, alles wie schockgefroren. Im Center sind die Flächen größer und günstiger. Also warten alle auf das Center. Selbst wenn es nie kommt. In Bochum dauert die Eiszeit jetzt schon ein halbes Jahrzehnt, seit vor sechs Jahren die sechs Männer kamen.

Hamm, Wetzlar, Siegen – und Hameln. Tot, sagt Eckhard Brockhoff.

Sein Lodenmantel weht an dem Haus vorbei, das er in Bochum sicherheitshalber abgestoßen hat, für einen guten Preis, damals noch, Kortumstraße 107. Ulla Popken, Damenmode, große Größen.

Die Innenstadt, wie Eckhard Brockhoff sie sieht, besteht aus 1A-Lage, sehr guter Lauflage, ordentlicher Lauflage, B-Lage, C-Lage – in dieser Reihenfolge. 1A-Lage heißt H&M, dm, Saturn, Douglas, Deichmann, heißt viele Menschen und hohe Mieten, bis zu 80 Euro pro Quadratmeter monatlich. C-Lage heißt 1-Euro-Shop, Sexshop, gar kein Shop, heißt kaum Passanten, heißt 10 Euro pro Quadratmeter oder noch weniger. Heißt, kurz zusammengefasst: „Müll“. „Nur noch Müll“, schnaubt Eckhard Brockhoff, wenn er auf seinem Innenstadtrundgang die verwahrloste ehemalige 1A-Lage durchquert.

Brockhoff kennt hier jedes Schaufenster. Als junger Makler begann er in den Achtzigern Innenstadtlagen zu kartografieren. Wem gehört welches Haus? Wie lange laufen die Mietverträge noch? Die Firma, bei der er angestellt war, wurde als Shoppingcenter-Betreiber zu einem der mächtigsten ECE-Konkurrenten: mfi, 28 Shoppingcenter, Sitz in Essen. Brockhoff hatte das Gefühl, dass er zu wenig vom Firmenerfolg profitiert. Er machte sich selbstständig: Brockhoff & Partner.

Sein geöffneter Lodenmantel hört in der Fußgängerzone von Bochum kurz auf zu wehen. Er ist vor dem asbestverseuchten Gerichtsgebäude angekommen. Da will ECE bauen, wenn es abgerissen ist.

Die Sonne wirft einen breiten, hellen Streifen auf den Nachmittagsschatten des Husemannplatzes, und Eckhard Brockhoff läuft unruhig über das Pflaster, während er versucht zu erklären, was das Perfide an diesen ECE-Plänen ist. Alexander Ottos Männer tun so, als würden sie mitten in der Stadt bauen, aber das neue Center wäre um die zweihundert Meter von der 1A-Lage entfernt. Für einen Konsumenten, wie Eckhard Brockhoff ihn sich vorstellt, sind zweihundert Meter ein Halbmarathon. Dieser Einkäufer fährt ins Center, parkt, shoppt, fährt nach Hause. Er bräuchte keine Fußgängerzone mehr.

Brockhoff geht die paar Schritte Richtung 1A-Lage, zu dem, was davon übrig ist, zum großen Saturn in der ehemaligen Westfalenbank mit der verzierten Sandsteinfassade, wo Eckhard Brockhoff gern H&M hineingeholt hätte, was aber nicht geklappt hat, weil gerade Eiszeit ist und weil Ottos Männer sein Bochum bedrohen.

Aber noch ist nichts gebaut, noch ist der Bau nicht beschlossen.

Im Hotel Intercontinental in Berlin treffen sich an einem Aprilvormittag die Mitglieder des International Council of Shopping Centers, dem Weltverband der Shoppingcenter. Im Tagungsraum ist es kühl, die Männer tragen dunkle Anzüge, die Frauen Kostüme. Auf der Bühne sitzen im farblich abgestimmten Scheinwerferlicht die Chefs der wichtigsten Bauer und Betreiber von Shoppingcentern in Europa. Alexander Otto ist ein feingliedriger, langer Mann, der feine Anzüge trägt und oft ein feines Lächeln. Heute spricht er sein Business-Englisch.

Shoppingcenter müssen groß sein, sagt Otto

Die drei Branchenführer diskutieren die großen Zukunftsfragen: Werden die Verkaufsflächen kleiner, weil die Leute viel bei Amazon bestellen? Damit ist zu rechnen, sagt der Niederländer auf dem Podium. Alexander Otto will widersprechen. Er ist ein höflicher Mensch, etwas verkniffen manchmal, deshalb sagt er: „I partially agree.“ Ich stimme nur teilweise zu. Shopping Center, sagt Otto, müssten groß sein. Die Leute wollen eine möglichst große Auswahl.

Alexander Otto redet gern über Investoren. Man müsse, sagt er, auf den Branchenmix achten. An wen vermietet man? Die Ketten zahlen nicht nur Miete, sondern auch Umsatzmiete. Je mehr Umsatz, desto besser für ECE. Gerade bemühen sie sich verstärkt um Apple und die Modekette Hollister.

Die Zentrale von ECE besteht aus viel Glas und mehreren Bürogebäuden, Hamburg-Poppenbüttel. Gegenüber erstreckt sich das Alstertal-Einkaufszentrum wie ein etwas zu lang geratenes Parkhaus. 60.000 Quadratmeter Fläche, ein doppelter Ikea. 240 Shops, von Apple bis WMF. Das Wichtigste aber: ein Einzugsgebiet von 1,1 Millionen Menschen, in Ziffern: 1.102.000. Und das Allerwichtigste: eine Kaufkraftkennziffer von 140. Der Durchschnitt in Deutschland ist 100. Bochum liegt in Eckhard Brockhoffs „Brockhoff“ gerade mal bei 101,6.

„Das ist schon lange eine Zielstadt von uns“, sagt Jan Röttgers, ein kleiner, schmaler Mann, der eine Brille mit schwarzem Heinz-Erhard-Bügel trägt und einen hellgrauen Krankenkassen-Anzug. Irgendein Konferenzraum in der Zentrale der ECE, draußen schweben Vögel über einen grauen Regenhimmel. Jan Röttgers, Director Development bei ECE, Entwicklungsdirektor im Shoppingcentergeschäft sagt Sätze wie: „Das Schlechteste sind falsche Kompromisse.“

Einzugsgebiet in Millionen, Kaufkraftkennziffer. Es sind solche Zahlen, die Jan Röttgers entscheiden helfen, ob sich eine Stadt als Zielstadt von ECE eignet. Ist das Einzugsgebiet groß genug? Haben die Leute Geld? Würden die großen Ketten, die Filialisten, einen Laden in einem neuen Center mieten? Von zehn Städten, die Jan Röttgers prüft, wird eine einzige zur Zielstadt.

Es geht um die Frage, wie wir einkaufen wollen. Und die Antwort der Einkäufermasse heißt: bei den Filialisten, am liebsten bei Modeketten. Je mehr Kettenmode, desto mehr Einkaufstüten in der Innenstadt.

Eine Stadt ohne Marken ist keine Stadt, sagt der Makler

Die Leute schauen nach bekannten Logos, schmücken sich gern mit starken Marken und durchwühlen am liebsten eine riesige Auswahl an Shirts, Jeans, DVDs. Also: H&M, Saturn. Immer wieder. „Eine Stadt, die die nicht hat, ist eigentlich keine richtige Stadt“, sagt Eckhard Brockhoff.

Die europäische Stadt besteht aus kantigem Stein, die amerikanische aus glattem Beton. Die Häuser in der europäischen Stadt sind klein und zierlich. Den Expansionsleitern der großen Ketten, die nach neuen Standorten suchen, gefallen sie nicht. „Zu kleine Fläche, zu niedrig, komische Schaufenstersituation, zu viele Stufen“, sagt Eckhard Brockhoff. Das ist sein Problem. Das ist Alexander Ottos Vorteil. Darum tut sich der Junge aus dem Ruhrgebiet gegen den Harvard-Absolventen aus Hamburg so schwer.

Die Leute wollen wenig zahlen. Dafür muss H&M billig produzieren, viel. Und weil niemand sich beim Shoppen zwischen einen Jeanshaufen und einen Pulloverberg zwängen will, muss alles ein wenig luftig wirken. Konzerne wie Hennes & Mauritz brauchen Platz.

Eckhard Brockhoff schiebt sich in den City-Point, ein viel zu kleines Center an der Kortumstraße, um das er sich vor Jahren mal gekümmert hat, jetzt managt es ECE. In einer hinteren Ecke ist H&M eingequetscht. Das Licht schummert auf enge Gänge, vollgestopft mit Klamotten. „Viel zu klein“, sagt Brockhoff. „Die machen heute fünfmal so große Läden.“ Er weiß, was die großen Ketten wollen.

Wenn Jan Röttgers, Director Development, eine Zielstadt identifiziert hat, spricht er zuerst mit den Bürgermeistern. „Womöglich gibt es ein Gutachten, das zeigt: Da und da hat die Stadt Schwächen. Wenn ihr das beheben könntet, sagt der Bürgermeister uns vielleicht, wäre das spitze“, erzählt Röttgers.

Die ECE-Leute treten auf, als wären sie Berater, als wäre die Stadt ein marodes, klammes Krankenhaus, das nur einen neuen, effizienteren Operationssaal braucht und ein schickeres Logo, dann läuft das schon wieder. „Für mich ist es einfacher, wenn eine Stadt weiß, wo sie steht. Wenn sie weiß, was ihre Stärken und Schwächen sind“, sagt Röttgers in der Firmenzentrale in Hamburg. Als würden sich Städte bei ECE bewerben.

Das ist noch so ein Vorteil für ECE: Viele Städte sind wirklich in einem Zustand wie ein marodes, klammes Krankenhaus.

ECE präsentiert Gutachten, die Städten ihre Schwächen aufzeigen und eine Lösung liefern: ein Shoppingcenter in der Innenstadt.

Die Geschäfte in Ottos Centern machen zusammen einen Jahresumsatz von 19 Milliarden Euro, ECE selbst veröffentlicht seine Gewinne nicht. Bochum hatte 2010 Schulden von fast 1 Milliarde Euro. Es fällt so einem Konzern nicht schwer, einer Stadt Expertisen zu präsentieren, die ihre Schwächen aufzeigen, dazu Prognosen, die ein Center zu einer Stärke rechnen.

So lief das in Hameln, wo ECE vor vier Jahren eine Stadtgalerie eröffnete. Für die 1A-Lage stellt eine aktuelle Analyse jetzt bis zu 23,3 Prozent weniger Besucher fest. Aus 1A wurde so C. So läuft das oft. ECE kommt, verspricht ein besseres Einkaufsleben für die Stadt. Wenn das Center dann da ist, veröden Teile der Fußgängerzone. ECE aber managt ein volles Center und plant schon woanders. Kritische Berichte in den Lokalzeitungen gibt es nicht ganz so häufig. Sollte das Center kommen, würde es ja teure Anzeigen schalten. Beginnt doch eine Diskussion, hat ECE viele Zahlen, die zeigen, dass alles gut wird.

Und es ist ja auch nicht so, dass ECE nicht einige Argumente auf seiner Seite hätte.

Viele Leute verbringen gern Zeit in Centern, besonders dann, wenn es regnet. Es gibt dort jetzt häufiger Foodcourts, Essecken. Die Verweildauer wächst, bilanziert man bei ECE. Es geht nicht mehr nur darum, die Leute mit Kunstlichtsignalen und strategisch platzierten Rolltreppen auf langen Wegen durch das Center zu schleusen, sie sollen sich ruhig setzen, in die Foodcourts mit eher hohem Tageslichtanteil.

Eckhard Brockhoff würde gern die Verweildauer in den Fußgängerzonen erhöhen. Aber er kann auch sehr anschaulich erzählen, wie die Gespräche mit den Hauseigentümern dann laufen: „Ich sage: Für die Verweildauer in den Fußgängerzonen ist ein Café wichtig. Sagen die: Gut, verstehen wir, gehen wir auch gern hin. Dann sag ich: Ein Café kann aber nur 20 Euro Miete zahlen. Dann sagen die: Nee, wir wollen aber 40. Dann sagen wir: 40 zahlt nur der Jeansladen. Dann sagen die: Okay, dann nehmen wir den Jeansladen. Gibt’s aber schon sechs, sagen wir. Macht nix, sagen die, vermieten Sie doch dem Nachbarn das Café für 20, wir nehmen den Jeansladen für 40.“

„So ist die Wirklichkeit“, sagt Eckhard Brockhoff mit dieser Stimme, die manchmal fast so dumpf klingt wie ein etwas zu langsames Tonband. „Verstehen Sie, so ist die Wirklichkeit.“

Die Wirklichkeit ist so, dass Eckhard Brockhoff, der ehemalige Stoffhändler, eine große Sympathie für Einzelkämpfer hat, kleine Läden, Pralinen, Blumen, Schreibwaren. Eine große persönliche Sympathie. „Persönlich ja“, sagt Eckhard Brockhoff, „aber geschäftlich nicht.“

Die Wirklichkeit ist so, dass die Hauseigentümer, die einmal Läden hatten, die Schuster waren, Blumenhändler, Caféinhaber, dass diese Hauseigentümer – oder deren Kinder, deren Enkel – heute oft auf Ibiza sitzen, in den österreichischen Bergen oder auf Mallorca und mit den Mieten aus den Innenstädten ihren Teint konservieren, ohne sich groß für diese Innenstädte zu interessieren. Für die Verweildauer.

Die Wirklichkeit ist so, dass auch der Stadtbaurat von Bochum, Dr. Ernst Kratzsch, ein Architekt, über diese Hauseigentümer sagt: „Die haben ganz wenig getan.“ Sie hätten Läden zusammenlegen können, größere Flächen anbieten. Die Wirklichkeit ist außerdem so, dass in einem ECE-Center sehr viel getan wird – für Werbung, Sicherheit, das richtige Licht. Eine weitaus bessere Organisation bei günstigeren Mieten.

Es sind solche Argumente, die die Ankermieter bringen, die großen Ketten. Ankermieter, manche nennen sie auch Magneten. In ihrer Nähe siedeln sich andere gern an, weil dort etwas los ist.

Wenn die Ankermieter im Center sitzen, verschieben sich Mode, Bekleidung, Schuhe, verschiebt sich irgendwann der große Teil der Fußgängerzone in dieses Center. In einen privaten Raum, in dem die ECE das Sagen hat, nicht mehr die Stadt. Der Centermanager, nicht der Bürgermeister. Die letzten wichtigen Ankermieter in der 1A-Lage von Bochum sind Saturn und C&A. Ohne sie würde die 1A-Lage weiter schrumpfen. Was sich verschiebt, verschiebt sich dauerhaft. Mietverträge für Filialisten laufen oft über fünf Jahre oder zehn – egal ob in der Fußgängerzone oder im Center. Sie werben um die Magneten. Otto gegen Brockhoff. Center gegen Zentrum.

Bürger gegen ECE-Projekt: „Rettet Rathaus und City!“

Im Ruhrgebiet ist die Konkurrenz um die Filialisten hart. Bochum klemmt zwischen Dortmund und Essen, und draußen vor der Stadt rüstet der Ruhrpark auf, lässt neue Flächen in die Landschaft baggern. Der Ruhrpark ist eines der größten Shoppingcenter Deutschlands und eines der ältesten, aus den Sechzigern, als Center noch auf den grünen Wiesen gebaut wurden. Er wird gerade modernisiert.

Die Wirklichkeit, gemessen von Stadtökonomen, ist so, dass ein Shoppingcenter in der Innenstadt in der Regel bedeutet, dass es in der 1A-Lage bald weniger Magneten gibt.

Die Magneten im Center ziehen dann auch die anderen Läden ab. Das alles weiß der Stadtbaurat Kratzsch im Bochumer Rathaus, was Eckhard Brockhoff gewisse Hoffnungen macht.

Fälle wie Hameln kennt man mittlerweile. Es gibt Anti-ECE-Bürgerinitiativen. „Rettet Rathaus und City“ steht auf den Plakaten im rheinischen Siegburg. Ein Bürgerbegehren wehrt das geplante ECE-Center 2010 ab. „Kein ECE-Center in Leer“, fordert die Initiative „Leer braucht Leer“. Das alles erschwert die Arbeit der Entwickler. „Die Entwicklungszyklen werden länger“, sagt Jan Röttgers in der ECE-Zentrale.

So ist das auch in Bochum, in Eckhard Brockhoffs Heimatstadt, wo er in einer Passage seinen ersten eigenen Laden hatte. Er verkaufte Stoffreste, anfangs aus einem ausrangierten Lieferwagen von Rewe. Sein Vater, Personalchef der Krupp-Stahlwerke, wollte, dass er studiert. Brockhoff wollte Geschäfte machen. Er hatte einen VW Cabrio, da besaß er noch keinen Führerschein. Aber einen Fahrer.

Das ist seine Stadt. Hameln mag tot sein. Aber Bochum gibt er noch nicht auf.

Eckhard Brockhoff wettert auf Podien gegen ECE, und er spricht mit dem Stadtbaurat. Es gibt jetzt mehr Rathäuser, in denen ECE eher wie ein Alarm klingt, nicht wie ein Versprechen. Das hilft.

Der Bochumer Stadtbaurat Kratzsch will im Herbst einen Wettbewerb ausschreiben. ECE wird sich bewerben, es gibt aber auch andere Interessenten, einige. Kratzsch will ECE mit dem Wettbewerb zwingen, ein offenes Center zu bauen, nicht zu groß. Eines, das die Fußgängerzone ergänzt, nicht erstickt.

Aber er weiß auch, dass die ECE-Entwickler das erste Grundstück für ihr Projekt schon gekauft haben. Wie immer.

Johannes Gernert, 32, sonntaz-Redakteur in Berlin, ist gerade vom Gesundbrunnen-Center an die Neukölln Arcaden gezogen ■ Bernd Langmack, 61, Fotograf in Essen, dokumentiert seit Jahren den Wandel von Stadt- und Industrielandschaften im Ruhrgebiet