: Wie Kaugummi
GERICHT Die ehemalige NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze ist wegen Betrug angeklagt. Der Prozess zieht sich hin, obwohl die Lage nicht so verzwickt ist
AUS HAMBURG ILKA KREUZTRÄGER UND STEFFEN GRIMBERG
Filibustern nennt man es, wenn im US-Senat Redebeiträge so in die Länge gezogen werden, dass am Ende die eigentlich vorgesehene Abstimmung ausfällt, weil alle nur nach Hause wollen. Doch wenn die Verteidigung im Prozess gegen die ehemalige NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze gestern mit der über drei Stunden dauernden Verlesung ihres 133-Seiten-Antrags vor der 8. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Hamburger Landgerichts ähnliches Bezweckte, lag sie falsch. Obwohl sich hier gleich zwei Anwälte abwechselnd mühten, die Anklage durch Dauerreden in die Knie zu zwingen, und dem Gericht vorwarfen, mit nur zwei Berufsrichtern für den komplizierten Fall auch noch zu schmal besetzt zu sein: Der Antrag wurde abgelehnt.
Denn so verzwickt ist die Lage auch wirklich nicht: Heinze hatte als NDR-Fernsehspielchefin nicht nur Drehbücher ihres Mannes Claus Strobel für den NDR verfilmt, die dieser unter dem Pseudonym Niklas Becker schrieb, ohne den Sender wie vorgesehen darüber zu informieren. Als „Marie Funder“ hatte Heinze selbst in die Tasten gegriffen, Stoffe verfasst – und an den eigenen Arbeitgeber beziehungsweise sich selber verkauft. Allerdings ohne ihr Pseudonym offenzulegen – und für das volle Honorar. Dabei hätte ihr als festangestellter ARD-Redakteurin nur die Hälfte zugestanden. Neben Heinze und Strobel sitzt in Hamburg auch noch die TV-Produzentin Heike Richter-Karst auf der Anklagebank, die für die Produktionsfirma Ariane die meisten verdeckten Projekte des Ehepaars Heinze-Strobel abwickelte. Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten insgesamt 14 in der Zeit von November 2003 bis Juli 2007 begangene Straftaten – Betrug, schwere Bestechlichkeit sowie Untreue – zur Last. Arbeitsrechtlich hatten sich Heinze und der NDR schon 2010 verglichen.
Doch der Prozess hatte schon gleich zu Anfang seine Tücken, auch wenn die alles andere als TV-tauglich sind. Während sich gestern die Verhandlung wegen des Mammut-Antrags der Verteidiger von Heike Richter-Karst wie Kaugummi zog, war der erste Termin viel schneller als geplant vorbei – und dabei lief es irgendwie so gar nicht, wie sich die Beteiligten das vorgestellt haben. Doris Heinze, ihr Mann Claus Strobel und Heinzes Verteidiger Gerd Benoit waren tief ins Gespräch versunken, als sie am Donnerstag voriger Woche das Hamburger Landgericht zu Fuß verließen.
Eigentlich hätten die Angeklagten schon da aussagen sollen, hätten Stellung nehmen sollen zu den Vorwürfen. Doch gleich nach einer halben Stunde zogen sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zurück. Schöffen und die Presse mussten auf dem Flur warten. Man wolle erneut versuchen, sich auf einen Deal zu einigen: Die Angeklagten würden gestehen und dafür eine mildere Strafe bekommen. Aber nach einer knappen Stunde war klar, daraus wird nichts. Und vor allem die Oberstaatsanwältin Cornelia Gädigk war sauer, schließlich war schon 2011 ein Versuch, den Prozess per „Deal“ zu beschließen, gescheitert. Gädigk plädierte immer wieder für ein schnelles Verfahren – und bekam als Quittung gestern die ganz große Vorlesung, fast so lang wie „Vom Winde verweht“, aber nicht ganz so unterhaltend.
Der Prozess begann pünktlich morgens um neun, doch erst um halb drei ist Heinze selber dran: „Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gefühl“, sagt die heute 63-Jährige. „Ich weiß, dass das ein riesengroßer Fehler war, den ich unendlich bedauere.“ Ein Geständnis ist das schon, aber Heinze spricht fast stockend, hangelt sich von Punkt zu Punkt, hier und da raunt ihr Anwalt Benoit noch einen Tipp zu. Es habe keine große Verschleierungstaktik gegeben, vielmehr sei nach der Debatte um zu viel seichte Stoffe in der ARD, um die „Süßstoffoffensive“ vor gut zehn Jahren, in der ARD „die Stimmung gekippt“, sagt Heinze. Es habe plötzlich einen „Hautgout“ gehabt, wenn Redakteure selbst Drehbücher schrieben: „Worauf der Sender früher stolz war, war plötzlich nicht mehr erwünscht“. Die Pseudonyme für sich und ihren Mann seien daher die logische Konsequenz gewesen: „Es war völlig klar, Claus Strobel schreibt unter Niklas Becker“, so Heinze. Und das Motiv? „Ich fand die Stoffe meines Mannes wirklich gut und wollte sie haben“ – und das „gilt auch für meine beiden Drehbücher.“ Große Nachfragen beim Sender gab es nicht: „Wenn ich gesagt habe, dass ich bestimmte Projekte machen wollte, ging das auch.“
Und schließlich hätten einige ihrer Stoffe – zum Beispiel „Die Freundin der Tochter“, auch richtig Erfolg gehabt, sekundiert Anwalt Benoit. Mindestens elf Mal sei der Film schon wiederholt worden, „heute Abend läuft der auch“, sagt Verteidiger Benoit. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich dazu komme, ihn mir anzusehen“, meint Richter Bruns trocken. Und der Prozess? Wird fortgesetzt.