leben in sozialen kämpfen
: Anarchist Abel Paz

Hans Magnus Enzensberger hat 1971 nicht Wort gehalten. Abel Paz stellte dem Deutschen umfangreiches Material über Buenaventura Durruti zur Verfügung – eine Schlüsselfigur der spanischen Revolution des Jahres 1936. Allerdings nur für einen WDR-Dokumentarfilm, nicht für ein Buch. Schließlich hatte Paz seinerzeit ein eigenes Manuskript über den Revolutionär fertig gestellt, das jedoch noch unveröffentlicht war. Enzensberger kümmerte das nicht. Er brachte 1972 seinen dokumentarischen Montageroman „Der kurze Sommer der Anarchie“ heraus, der auf Paz’ Material beruhte. Dessen Durruti-Buch konnte leider erst 1977 erscheinen.

Nun ist Enzensberger schon seit längerem bürgerlich geläutert. Der 83-jährige Paz hingegen ist noch immer unermüdlich für den Anarchismus unterwegs.

Und das ist auch nötig, denn noch heute stehen in Spanien allerorten Statuen Francos. Erst langsam wird an der Tabuisierung der Opfer des Faschismus gekratzt. Paz, der bereits mit 15 für die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT kämpfte, ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen von Revolution und Bürgerkrieg. Das Buch über ihn, das Bernd Drücke, Luz Kerkeling und Martin Baxmeyer herausgegeben haben, ist schon deshalb besonders wichtig. Sie haben dafür Interviews und Vorträge aus den Jahren 2001 bis 2004 zusammengetragen.

„Ich […] habe mein ganzes Leben in sozialen Kämpfen verbracht“, sagt Paz. Sein publizistischer Kampf galt und gilt der dominierenden „kommunistischen Sichtweise“ des Bürgerkriegs „im öffentlichen Bild“, der er die „wirkliche Rolle und Bedeutung der Anarchisten“ entgegensetzt. Denn: „Wir haben die Revolution gewonnen. Was wir verloren haben, ist der Krieg. Paz verachtet zwar wegen der Rolle der Stalinisten bei dieser militärischen Niederlage, deren Kampf gegen die nicht auf Moskau fixierte Linke, theoriefern gleich alles Marxistische, liefert jedoch Einleuchtendes zur sozialen Verankerung der „jüngste[n] Revolution der Weltgeschichte“, deren ProtagonistInnen im Durchschnitt 17 bis 22 Jahre alt waren.

Die gerade bei Bauern, Bergleuten oder Fischern für die Subsistenzsicherung notwendige Solidarität und Kollektivität habe hier eine Basis für den Anarchosyndikalismus bedeutet. 1936, nach dem Wahlsieg der Volksfront, hätten Millionen sozialistisch und anarchistisch organisierter Bauern und Arbeiter nicht auf die Regierung, Amnestie und Landreform gewartet, sondern die Befreiung von rund 80.000 Gefangenen und die Kollektivierung von Ländereien selbst in die Hand genommen. Und so ging es ihnen nach dem Franco-Putsch im Juli des Jahres um mehr als nur die Verteidigung der bürgerlichen Republik.

Paz’ Erinnerungen zeigen einen exemplarischen Lebensweg: Flucht nach Frankreich 1939, Rückkehr zum Untergrundkampf 1942, Inhaftierung bis 1953, danach erneut Exil in Frankreich, Teilnahme an den Studentenunruhen 1968, schließlich Rückkehr in ein postfranquistisches Spanien, das die einstige Revolution „vergessen“ hat.

Paz bewegt sich sehr selbstbewusst in der zeitzeugentypischen subjektiven Perspektive. HistorikerInnen hält er gar für anmaßend, würden diese doch über nichts Selbsterlebtes schreiben. So hat er dann auch manch Eigentümliches zu bieten. Etwa wenn er den Anarchismus zur Quasinatur der „stolzen“ SpanierInnen erklärt oder eine Art positiv gewendeten Sexismus betreibt. Frauen, meint er, blieben traditionell hinterm Herd, weil sie schlauer als Männer seien.

Eher wegen als trotz aller Nähe und Sympathie zu Paz und zum Anarchismus – Drücke ist Redakteur der graswurzelrevolution – rücken die Herausgeber zugleich „Mythen“ zurecht. Der Hispanist Baxmeyer nutzt für seine instruktive Einführung einen für die Spanische Revolution bislang wenig erforschten Bereich: ihre Literatur und Kultur. Mit diesem Cultural-Studies-Ansatz gelingt es ihm etwa, Hintergründe und Erklärungen für eines „der dunkelsten Kapitel“ der Spanischen Revolution zu finden – die auch von Paz kleingeredeten Morde an Nonnen und Priestern – und gleichzeitig die rechte und klerikale Propaganda einzuordnen.

MARCUS TERMEER

Bernd Drücke u. a. (Hg.): „Abel Paz und die Spanische Revolution. Interviews und Vorträge“. Verlag Edition AV, Frankfurt am Main 2004, 116 Seiten, 11 Euro