Die Wahrheit: Hauptsache, Wind

Exakt ein Jahr nach Beginn des ersten Lockdowns bekommt eine Berliner Schule Höllenmaschinen geliefert. Es soll sich um Luftfilteranlagen handeln …

Wenn man versuchte, ein Jahr Coronakrise in einem Bild zu verdichten, dann käme ein meterhohes, 85 Kilo schweres und mit 65 Dezibel vor sich hin dröhnendes Metalltrumm mit einer Art Schornstein dabei herum.

Die Direktorin der Schule meiner Söhne versandte ein Foto, und wir fragten uns verblüfft, was um Himmels willen das sein sollte. Ein alter Braunkohle-Ofen? Eine Kunstinstallation des Brutalismus? Oder waren die lang versprochenen WLAN-Router eingetroffen?

„Die Senatsverwaltung hat auf die Luftreinigungsproblematik reagiert und für die Berliner Schulen entsprechende Geräte beschafft“, schrieb sie. „Unserer Schule wurden am vergangenen Mittwoch überraschenderweise vier der abgebildeten Filteranlagen geliefert. Das Foto vermittelt Ihnen ungefähr, über welche stattliche Größe diese Geräte verfügen.“

Exakt ein Jahr nach Beginn des ersten Lockdowns, zehn Monate, nachdem klar wurde, dass die Infektion über Aerosole in geschlossenen Räumen erfolgt, nach einem Herbst, in dem mit Schals und Decken vermummte Kinder bei geöffnetem Fenster unterrichtet wurden, nach einem Winter, an dessen Ende die Infektionszahlen wieder fröhlich in die Höhe schießen, weil die Kinder erneut zur Schule geschickt werden, obwohl es kein funktionierendes Testsystem gibt, genau da kommt Hilfe in Form von exakt vier Belüftungsanlagen für eine Schule mit fast 1.000 Kindern – „überraschenderweise geliefert“.

Ich stelle mir vor, wie zwei Möbelpacker vorfahren, fragen: „Sagen Sie, ist das hier zufällig die Walter-Ulbricht-Schule?“, dann mit der Sackkarre die Geräte heranrollen und rufen: „Und? Wo sollen wir die Oschis hinstellen?“

An einen Betrieb im Klassenzimmer ist nicht zu denken: „Die Geräte diesen Ausmaßes werden wir vermutlich nicht in Klassenräumen zum Einsatz bringen können“, schreibt die Direktorin. Wohl nicht zuletzt, weil 65 Dezibel nach den gängigen Geräuschtabellen Kantinenlärm, einer tackernden Nähmaschine oder einem laufenden Fernseher entsprechen.

Zum Glück ist die Schule findig: „Wir testen nun, inwiefern sie in der Aula oder der Turnhalle oder der Mensa zum Einsatz kommen können, ohne eine Klausur, den Unterricht oder eine andere Veranstaltung akustisch zu beeinträchtigen.“ Mit anderen Worten: Es wird fieberhaft nach einem Ort gesucht, wo man sie hinstellen kann, ohne dass sie allzu viel Schaden anrichten.

Denn das werden sie sowieso. Die Wartung kostet 3.000 Euro pro Jahr und muss aus dem normalen Schuletat beglichen werden. Gut, für 3.000 Euro hätte man auch sechs moderne, mucksmäuschen-stille Luftreiniger kaufen können, die gar keine Wartungskosten verursachen, aber die sähen natürlich nicht so eindrucksvoll aus.

Ein Jahr Coronakrise. Wenn man versuchte, diese Zeit in einem Bild zu verdichten, dann kämen dabei wohl diese stattlichen Belüftungsanlagen für eine ganz normale Berliner Schule herum.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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