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Millionenstrafe wegen tödlicher Appetitzügler

Frankreichs Pharmakonzern Servier ist im Prozess wegen der Schlankheitspille Mediator verurteilt worden. Ihre Nebenwirkungen sollen für etliche Todesfälle verantwortlich sein

Der frühere Vizekonzernchef Jean-Philippe Seta war nach dem Tod des Firmengründers Jacques Servier 2014 der Hauptangeklagte. Er bekam vier Jahre Haft auf Bewährung Luc Nobout/imago Foto: Foto:

Aus Paris Rudolf Balmer

Das gerichtliche Nachspiel um die gefährliche Schlankheitspille Mediator in Frankreich hat am Montag mit einer Geldstrafe in Millionenhöhe für das Pharmaunternehmen Servier geendet. Der Konzern wurde zu 2,7 Millionen Euro wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung ohne Vorsatz sowie „schwerer Täuschung“ verurteilt.

Der Fall Mediator gilt als einer der größten Gesundheitsskandale in Frankreich. Schätzungsweise 5 Millionen Menschen haben dieses ursprünglich als Diabetesmittel entwickelte und dann aber mit Wissen und Zustimmung von Servier als Abmagerungskur für Übergewichtige verschriebene Medikament zwischen 1976 und 2009 eingenommen, oft jahrelang.

Tausende Menschen litten in der Folge unter Herzklappenfehlern. Die Zahl der Todesopfer, die mit den schädlichen Nebenwirkungen von Mediator erklärt werden, beträgt zwischen 1.500 bis 2.100. Die wenigsten von ihnen waren an Diabetes erkrankt oder hatten zu hohe Cholesterinwerte, sie nahmen dieses Medikament als eine Art „Schlankheitspille“.

Wegen seiner persönlichen Verantwortung ist der frühere Vizechef von Servier, Jean-Philippe Seta, zu vier Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er war nach dem Tod des Firmengründers Jacques Servier 2014 der Hauptangeklagte in dem Prozess, der im September 2019 begonnen hatte.

Die für die Zulassung und die Kommerzialisierung verantwortliche Aufsichtsbehörde ANSM (Agence nationale de sécurité des médicaments) ist wegen einer „gravierenden“ Vernachlässigung ihrer Kontrollaufgaben ebenfalls schuldig erklärt und zu einer eher symbolischen Buße von rund 300.000 Euro verurteilt worden ist. Das Gericht blieb insgesamt nur unwesentlich unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafen.

Aufgrund der bekannt gewordenen Probleme war das Arzneiprodukt Mediator in mehreren europäischen Ländern viele Jahre vor dem Verkaufsverbot in Frankreich aus dem Handel zurückgezogen worden. In Deutschland wurde es nicht verkauft. Zur Rolle von Servier sagte am Montag die Gerichtspräsidentin Sylvie Daunis in ihrer Urteilsbegründung: „Obwohl ihnen die Risiken seit langen Jahren bekannt waren, haben sie (die Angeklagten) die zwingend notwendigen Maßnahmen unterlassen.“

Mehrere Länder nahmen Mediator viele Jahre vor Frankreich aus dem Handel

Mit ihrem Buch „Mediator 150 mg“ hatte besonders die Pneumologin Irène Frachon 2007 vor den schweren und teilweise tödlichen Nebenwirkungen des Medikaments gewarnt, die sie in ihrer eigenen Tätigkeit im Krankenhaus von Brest konstatiert hatte. Schockierend war für sie, dass Servier nach ihrer Warnung alles tat, um sie zu diskreditieren und das umstrittene Medikament mit dem Segen des ANSM weiter zu vertreiben, obwohl die Risiken des Wirkstoffs längst bekannt waren.

Im Prozess hatte sich Frachon über „Druck und Drohungen“ seitens des Pharmaherstellers beklagt: „Ich wurde bekämpft, als wäre ich für eine Verschwörung gegen Servier verantwortlich gewesen, dabei habe ich bloß meine Arbeit (als Ärztin) gemacht.“ Sie erklärte ihre „Genugtuung“ über den Schuldspruch, auch wenn die vorgesehenen Strafen „in skandalöser Weise mild“ seien.

Mehrere Tausend Mediator-Opfer haben bereits vor der strafrechtlichen Verurteilung von Servier eine finanzielle Entschädigung zugesprochen bekommen. Die Tageszeitung Le Figaro gibt im Kontext der Covid-19-Pandemie zu bedenken, dass der Mediator-Skandal wesentlich zum pauschalen Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie und auch zur weit verbreiteten Impfskepsis in Frankreich beigetragen habe.

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