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Archiv-Artikel

Der Chemiker gefasst

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Die ägyptische Polizei hat am Donnerstag in Kairo jenen Mann verhaftet, den die britischen Behörden für den Bau der Londoner Bomben verantwortlich machen. Der 33-jährige Biochemiker Magdi El Nashar wird seither verhört. Das bestätigte gestern die britische Botschaft in Kairo. Bei den Verhören sollen auch FBI-Agenten anwesend gewesen sein, berichtete der US-Sender ABC. Laut dem ägyptischen Innenministerium stritt er jede Tatbeteiligung ab. Er habe ausgesagt, dass er für sechs Wochen auf Heimaturlaub in Kairo sei. Er wolle aber nach England zurückkehren.

Sowohl die britische Polizei als auch das FBI fahndeten nach El Nashar. Laut der britischen Times wurde ein Haus in Leeds, das angeblich von El Nashar gemietet worden war, bereits vorigen Dienstag durchsucht. Nachbarn berichteten, El Nashar habe Großbritannien vor zwei Wochen verlassen, angeblich wegen Visaproblemen.

El Nashar kommt aus der ägyptischen Deltaprovinz Daqaliya und arbeitete im Nationalen Forschungsinstitut in Kairo, das ihn im Oktober 2000 für eine biochemische Forschungsarbeit zur Universität Leeds entsandte, wo er im Mai promovierte. Laut dem ägyptischen Innenministerium hat er auch einen Abschluss der Universität Kairo. Für ein Semester, beginnend im Januar 2000, war El Nashar zudem an der staatlichen Universität in North Carolina eingeschrieben. Der Chef des Nationalen Forschungsinstituts erklärte, El Nashar sei vor zwei Wochen zurückgekehrt, um seine Doktorarbeit einzureichen und eine Woche mit seinen Kollegen zu verbringen. Eine Woche darauf hatte er sich bei Kollegen für einen 45-tägigen Urlaub abgemeldet.

Terroristen in Ägypten

Die Nachricht kommt für Ägypten zu einer Zeit, da das Land nach sieben Jahren der Ruhe nach dem Massaker von Luxor wieder eine Reihe von Anschlägen erlebt. Im Touristenbasar in Khan Khalili kamen bei einem Bombenanschlag von einem Motorrad aus Anfang April ein Franzose und der Attentäter um. Zwei Wochen darauf warf sich ein weiterer Attentäter mit einer Bombe von einer Brücke und riss drei Ägypter und einen Ausländer mit in den Tod. Am gleichen Tag schossen zwei verschleierte Frauen vor der Saladin-Zitadelle auf einen Bus mit österreichischen Touristen, ohne jemand zu verletzen, und erschossen sich selbst. Sicherheitsexperten stellten sich die Frage, ob eine neue Generation militanter Islamisten aktiv geworden ist.

Zwei militante islamistische Gruppen hatten zuvor die ägyptische Szene bestimmt. Die so genannte Islamische Gruppe Gamaa Islamija und die Dschihad-Gruppe. Gamaa Islamija wurde in den 70er-Jahren gegründet und wurde vor allem in den 90er-Jahren berüchtigt durch zahlreiche Anschläge auf Touristen, christliche Kopten und ägyptische Polizisten, vor allem in der Hochburg der Gruppe im südlichen Oberägypten. Die Gamaa hat inzwischen allerdings der Gewalt abgeschworen.

Einzelne Mitglieder der Gamaa wie Rafai Ahmad Taher jedoch arbeiteten mit Ussama Bin Laden 1998 bei der Gründung der „Internationalen Islamischen Front gegen Juden und Kreuzfahrer“ zusammen, die später unter dem Namen al-Qaida bekannt wurde. Gamaa Islamija war allerdings nie ein Teil dieser Front, wie Taher und Bin Laden selbst mehrmals öffentlich anmerkten.

Anders als die Gamaa Islamija weitete die ägyptische Dschihad-Gruppe im Februar 1998 ihre Aktivitäten international aus. Ihr Chef, der ägyptische Arzt Aiman al-Sawahiri, wurde de facto zum zweiten Mann bei al-Qaida. Bis zu 150 ägyptische Dschihadisten sollen bei al-Qaida angeheuert haben. Sie waren für das Netzwerk wertvoller als etwa die ebenfalls zu ihr stoßenden Golfaraber, da sie über wesentlich mehr Kampferfahrung verfügten.

Wie bei allen militanten Islamisten-Organisationen gab es auch in Ägypten eine Debatte innerhalb der Gruppen, ob man sich dem „nahen Feind“ – dem arabischen Regime – oder dem „fernen Feind“, also den USA und ihren Verbündeten, zuwenden soll. Spätestens mit dem Irakkrieg lautete die Antwort für die meisten Gruppierungen, den nahen und den fernen Feind gleichzeitig anzugreifen. Der ägyptische Terrorexperte Dia Raschwan fasst es so zusammen: „Aus zwei Feinden war mit dem Irak- und dem Afghanistankrieg einer geworden.“