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Archiv-Artikel

Das Leben einer Kaulquappe lang

LITERATUR In ihrem Debütroman beschreibt Anna Weidenholzer das Leben einer Arbeitslosen zwischen Scham und Alltagsskurrilität. Trotz der reduzierten Sprache birgt das Buch viel Identifikationspotenzial

VON CATARINA VON WEDEMEYER

„Wenn einem das Haustier im Kühlschrank gefriert, ist das eine unangenehme Situation.“ Für Maria, die Hauptfigur in dem Debütroman von Anna Weidenholzer, ist diese Situation viel ernster, als es klingt. Maria ist arbeitslos, mehr erfahren wir zunächst nicht. Doch Kapitel für Kapitel ergibt sich in „Der Winter tut den Fischen gut“ ein Gesamtbild der Figur. Bald wissen wir, dass sie oft „nacktes Brot“ isst, dass sie verwitwet ist und – als das Verhältnis zwischen Leser und Romanfigur schon sehr vertraut ist – auch, dass Maria gern Schlagersängerin geworden wäre.

Paradoxerweise ist die 28-jährige Anna Weidenholzer dank ihrer Figur genau das geworden, was sie werden wollte: Autorin. Nachdem sie in Wien und Breslau Komparatistik studiert hatte, veröffentlichte sie unter dem Titel „Der Platz des Hundes“ schon im Jahr 2010 erste Erzählungen. Inzwischen lebt die Linzerin von Literaturpreisen und Stipendien, gerade war sie drei Monate am Literarischen Colloquium Berlin.

Es klingt so einfach

„Arbeitslos im klassischen Sinne kann ich also gar nicht werden“, sagt Weidenholzer mit vorsichtiger Selbstironie. Dass sie sich trotzdem für ein Tabuthema wie die Situation arbeitsloser Endvierziger interessiert, sei einer Theaterproduktion mit Laienschauspielern zu verdanken. „Das war der Auslöser.“ Seitdem habe sie für ihr Thema recherchiert. So wie die zierliche Autorin es beschreibt, klingt alles sehr logisch und einfach, sowohl ihre eigene Geschichte, als auch die ihrer Heldin.

Auch als sie gefragt wird, warum sie den Roman rückwärts erzählt, hat Weidenholzer eine pragmatische Antwort: Sie habe die Gesprächssituation mit ihren Interviewpartnerinnen wiedergeben wollen. Wie bei einer realen Begegnung sieht man auch im Roman erst nur eine anonyme Arbeitslose vor sich, die womöglich selbst an ihrer Kündigung schuld ist. Und weil sie sich zu schade ist, Wurst zu verkaufen, ist man geneigt, dem gesellschaftlichen Konsens zu folgen und sie als Sozialschmarotzerin zu verurteilen. Am Beispiel der Romanfigur wird dann jedoch der Druck nachvollziehbar, dem die Arbeitslose ausgesetzt ist. Würde die professionelle Textilhändlerin sich zur Wurstfachverkäuferin umschulen lassen, wäre auch der letzte Rest ihres Selbstwertgefühls verloren. Die Ratgeberliteratur, die die Betroffenen zur Selbstoptimierung zwingt, erscheint da so zynisch, dass man versteht, warum Maria sich lieber an einen der Lieblingsgrundsätze ihres Mannes hält: „Das Leben ist ein Hund. Es erwischt einen ohnehin, wenn man ihm zu lange in die Augen sieht.“

Dass man diesem Hund als Leser trotzdem begegnen kann, muss dem „inneren Rhythmus“ geschuldet sein, den Weidenholzer im Gespräch mehrmals erklärend erwähnt. Die Autorin überlegt auch mit den Händen, manche Worte unterstreicht sie mit behutsamen Gesten. Ihre literarische Sprache ist sehr reduziert, aber jedes Wort sitzt. Und mit jedem Satz wird der Leser neugieriger und ungläubiger. Schließlich will man wissen, wie es dazu kommen konnte, dass dieser kompetenten Dame gekündigt wurde. Und warum sie Otto im Kühlschrank aufbewahrt.

Ohne diese Alltagsskurrilitäten wären die Einsamkeit und die Scham der Hauptfigur nicht auszuhalten, denn der Leser verfängt sich immer mehr in den Tagträumen und den zurechtgelegten Ausreden, den vielen Konjunktiven und Vielleichts der ehemaligen Textilhändlerin. Es ist genau diese Identifikationsgefahr, die den Roman so berührend macht, und die Distanz, die ein arbeitender Leser anfänglich verspüren könnte, verwandelt sich in Hochachtung für die schlichte aber würdevolle Heldin. Zum Glück für den Leser erlebt Maria auch schöne, poetische Momente. Zum Beispiel, wenn ihr Ehemann Walter sich in Anflügen von guter Laune als Elvis verkleidet.

Suche nach Vorbildern

Da fällt Weidenholzer eine absurde Situation ihres eigenen Lebens ein: Als sie mit ein paar Freunden irgendwo in Berlin in einer „grindigen“ Karaokebar war, begegnete sie einem Michael Jackson, einem Joe Cocker – und einer lebendig gewordenen Romanfigur Walter. Die sang „I did it my way“ von Frank Sinatra, mit deutschem Text: „Es ist vorbei, es ist mein Leben.“ Dann ging er an die Bar, bestellte etwas zu essen und schlief ein. Man kann sich gut vorstellen, wie Anna Weidenholzer in solchen Momenten ihr schwarzes Notizbuch aus der Tasche zieht und ihre Beobachtungen darin aufbewahrt.

Aber zurück zu Otto: „Suchen Sie sich Vorbilder“, stand in einem der Ratgeber für Arbeitslose. Also hat sich Maria eine Kaulquappe gefischt, ein Tier, das eine beobachtbare Entwicklung durchmacht: Bis Otto ein Frosch ist, möchte sie wieder eine Arbeit gefunden haben. Für den Leser ist das nicht einfach, denn noch bevor man erfährt, welche Bedeutung das Tier hat, weiß man schon von seinem Tod. Und man erschrickt ob der dramatischen Ironie und der Symbolik, die diese Episode für Marias eigene Entwicklung hat.

■ Anna Weidenholzer: „Der Winter tut den Fischen gut“. Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg, Wien, September 2012, 250 Seiten