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Archiv-Artikel

Kopftuch geht immer

POLITIK Die Frauenrechtlerin Seyran Ates findet die Grünen unwählbar, sie seien „scheinheilig“ – die wiederum finden, Ates sei auf einem Irrweg. Woher kommt diese Wut?

Frauen wie Seyran Ates verdienten ihr Geld in der „Islamophobie-Industrie“, sagt Bülent Arslan, Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums in der CDU. Ihr Artikel sei reiner Populismus und bediene damit die Angst vor Muslimen

VON CIGDEM AKYOL

Sie konnte wieder einmal der Lust an der Provokation nicht widerstehen: „Bei den Grünen begegnet man den meisten Kopftuchträgerinnen und VerteidigerInnen des Kopftuchs, den meisten Kulturrelativisten und Multikulturalisten“, schrieb Seyran Ates kürzlich auf Welt-Online und erklärte, warum sie die Partei für nicht wählbar hält. Sie wirft den Grünen vor, sich nicht für einen Straftatbestand Zwangsheirat einzusetzen, nichts von Parallelgesellschaften hören zu wollen und bei Diskussionen über Moscheebauten „aggressiv“ zu reagieren.

Sympathisch macht man sich mit solchen Rundumschlägen nicht. Das weiß sie auch, das will sie auch gar nicht. Seyran Ates ist eben keine Stiefelküsserin, eine liebedienerische Art scheint ihr zuwider. Sie bemüht sich erst gar nicht zu vermitteln, sie klagt an.

So kam die Gegenwehr prompt. In einem offenen Brief kritisieren 20 Grünen-Politiker, Ates seien die Frauenrechte der Migrantinnen „ziemlich egal“ und dass sie „frauen- und integrationspolitisch auf einem ziemlichen Irrweg“ wandele. „Dass Sie das politische Engagement unserer kopftuchtragenden Mitglieder als Argument gegen Grün werten, ist ein Schlag ins Gesicht dieser Frauen, die viel Energie in ihre Arbeit stecken und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Dass Sie nicht bereit sind, dies anzuerkennen“, so die Unterzeichner.

Diplomatisch war sie nie

Seyran Ates, im Meinungskampf nicht immer die Feinste, hat nun am Dienstag in einem Interview im österreichischen Standard nachgelegt: So bezeichnet sie die Grünen als „scheinheilig“ und schiebt noch hinterher: „In keiner anderen Partei ist es in meinen Augen so extrem, dass der Mensch mit Migrationshintergrund einen positiven Rassismus erlebt.“

Ist dies ein neuer Versuch der deutsch-türkischen Juristin, sich mit Brachialkritik profilieren zu wollen? Seit langem umgibt sie sich mit dem Anspruch, gegen die linke Political Correctness anzutreten, mit der avantgardistischen Aura einer Kämpferin. Sie ist Anwältin, Frauenrechtlerin, Islamkritikerin, Autorin. Sie ist eine alleinerziehende Mutter, eine bekennende Bisexuelle und eine öffentliche Person. Mit ihren kontroversen Thesen polarisiert sie wie wenige Frauen in Deutschland, die sich in die Integrationsdebatte einmischen.

Ist dies bloße Lust an der Provokation? Besessenheit? Oder eine geschickte Vermarktungsstrategie? Vielleicht ist es von allem etwas, aber die Biografie der 46-Jährigen verleiht ihren Positionen eine kaum zu verhüllende Emotionalität: 1969, Seyran Ates war gerade sechs, kam sie mit ihrer streng traditionellen Familie aus Istanbul nach Berlin. In ihrem autobiografischen Bestseller „Große Reise durchs Feuer“ schildert sie die beengten Verhältnisse, aus denen sie sich befreit hat. Sie durfte das Haus nicht alleine verlassen, wurde geschlagen und zur Hausarbeit erzogen und auf der Gesamtschule als „Scheißausländer“ beschimpft. Mit 16 lief sie von zu Hause weg und begann trotz aller Schwierigkeiten ein Jurastudium. Um dieses zu finanzieren, jobbte sie in einer Berliner Beratungsstelle für Migrantinnen, die Schutz suchten vor ihren gewalttätigen Partnern. In diesem Kreuzberger Laden wurde sie 1984 von dem Ehemann einer Klientin angeschossen und überlebte schwer verletzt. Die Wunden sind schon lange verheilt, geblieben sind die Angst und die Depressionen, die sie seitdem quälen. Als sie 2006 nach einem Gerichtstermin von dem geschiedenen Ehemann ihrer Mandantin tätlich angegriffen wurde und weitere Drohungen von Verfahrensgegnern bekam, gab sie kurzzeitig ihre Zulassung als Anwältin zurück. Die Erinnerungen an 1984 lähmten sie.

Aber kapitulieren? Die deutsche Gesellschaft so akzeptieren, wie sie ist? Ehrenmorde hinnehmen, Zwangsehen dulden? Das alles nicht in tiefstem Anatolien, sondern in der unmittelbaren Nachbarschaft, das kann Ates nicht. 2007 kehrte sie auf die juristische Bühne zurück, schreibt wieder Bücher und streitet sich in Talkshows.

Islam-Bashing ist ein Trend

Ihre Themen sind die Muslime und die Migration. Darüber schreibt und streitet sie – unerbittlich. Das Etikett der Islamkritikerin hat sich selber verpasst. Das lässt sich einfach besser verkaufen. Dass sie für die einen eine unerschrockene muslimische Feministin ist, die sich nicht unterkriegen lässt, für die anderen eine laute Nervensäge, die sich populistisch konservativen Positionen anbiedert, scheint ihr ganz recht. Hin und wieder ein medienwirksames Gepoltere, schon katapultiert Seyran Ates sich wieder in die Öffentlichkeit. Im Oktober – welch Zufall – erscheint ihr neues Buch. Titel: „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“.