: Unionsländer putschen bei Rechtschreibung
Bayern und Nordrhein-Westfalen wollen die Rechtschreibreform doch nicht zum 1. August verbindlich machen. Nach Ansicht von SPD-Ministerpräsidenten verspielen sie mit ihrem Schritt „den letzten Rest politischer Verlässlichkeit“
BERLIN taz ■ Zurzeit steht es acht zu drei für die Rechtschreibreform. Bei einer Enthaltung. Eigentlich hatte die zuständige Kultusministerkonferenz im Juni erklärt, man werde die umstrittene Reform zum 1. August in weiten Teilen umsetzen. Doch am Wochenende regte sich gegen diese Entscheidung Widerstand.
Die Ministerpräsidenten Bayerns und Nordrhein-Westfalens wollen mit der Umsetzung warten, bis der Rat für Rechtschreibung in einigen Monaten seine Empfehlungen für Korrekturen vorlege. Unterstützung bekamen Edmund Stoiber (CSU) und Jürgen Rüttgers (CDU) aus Niedersachen. Der dortige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) kündigte an, sein Kabinett werde am Dienstag über einen solchen Schritt beraten. Nach seiner Meinung sei „aus schulpraktischen und pädagogischen Gründen“ eine befristete Beibehaltung der derzeitigen Übergangsregelung besser als die Festschreibung der Reform zum 1. August.
Damit geht die beendet geglaubte Rechtschreibdebatte in eine neue Runde. Am 3. Juni hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen, die 1998 eingeführte Reform endgültig verbindlich zu machen. Damit würden in Schulen Fehler nicht nur markiert, sondern auch gewertet. Ausgenommen blieben die Getrennt- und Zusammenschreibung und die Interpunktion. Zu diesen hatte der Rat für deutsche Rechtschreibung bereits Vorschläge angekündigt.
Die Kultusminister setzten sich über die Empfehlung des einst von der KMK eingesetzten Rates für Rechtschreibung hinweg, der die Korrekturen eingearbeitet sehen will. Trotzdem war die Ministerpräsidentenkonferenz am 23. Juni der KMK gefolgt. Daher reagierte man dort auf den Vorstoß der drei CDU-Länder mit erheblichem Unverständnis. Dieses Vorgehen sei kaum nachvollziehbar, hieß es in einer Erklärung der KMK-Präsidentin Johanna Wanka. Schließlich habe man jeden Schritt mit den Ministerpräsidenten abgestimmt. „Ein Ausscheren einzelner Bundesländer aus der Vereinbarung führt nicht nur bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern zu neuer Verunsicherung“, sagte Wanka.
Klar für eine Umsetzung nach dem beschlossenen Zeitplan ausgesprochen haben sich die Landesregierungen von Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen und dem Saarland.
Kritik an dem Vorstoß gab es aber nicht nur von der KMK. Auch die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Berlin sind gegen eine neue Debatte. Berlins Regierungssprecher Michael Donnermeyer sagte, man bleibe „selbstverständlich bei den Beschlüssen, die die Ministerpräsidentenkonferenz für alle verbindlich getroffen hat“. Insofern schließe man sich auch der Kritik von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) aus Rheinland-Pfalz „100-prozentig an“. Zur Begründung hieß es: „Sonst ist Politik ja gar nichts mehr wert.“ Beck hatte gesagt, mit der Entscheidung Bayerns und Nordrhein-Westfalens sei „der letzte Rest an politischer Verlässlichkeit weg“.
Nicht klar dafür oder dagegen äußern wollte man sich in Baden-Württemberg. Nach Angaben eines Regierungssprechers will Ministerpräsident Günther Öttinger (CDU) zwischen beiden Seiten vermitteln. Anfang der Woche werde er versuchen, eine Einigung der Beteiligten herbeizuführen. KAI BIERMANN
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