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Das große Sterben am Schweriner See

In der vom NDR produzierten Miniserie „Die Toten von Marnow“ tun sich alte Stasi-Seilschaften mit der deutschen Pharmaindustrie zusammen. Es gibt ein komplex gezeichnetes Ermittlerpaar, viele Tote, spektakuläre Action, aber auch unfreiwillige Komik zu sehen

Auch nach vier Folgen noch für Überraschungen gut: Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Sascha Geršak) Foto: NDR/Polyphon/Philipp Sichler

Von Wilfried Hippen

Wo die Leiche an einem Tatort zu finden ist, muss der Kommissarin Lona Mendt nicht erklärt werden: „Ich kann sie riechen!“, ist der erste Satz von Petra Schmidt-Schaller in dieser Rolle. Eine bessere Einführung wird sich in einem neueren deutschen Krimi kaum finden lassen. Auch ihr Kollege Frank Elling, gespielt von Sascha Geršak, wird von Anfang an als ein hartgesottener, bodenständiger Polizist präsentiert. Beide sind eher kantig als sympathisch und alles andere als biedere Ermittlungsbeamte. Das Ermittlerpaar ist so komplex gezeichnet, dass es auch nach viermal 90 Minuten noch überraschen kann.

Schnell wird klar, dass die Leiche nicht so umgebracht werden konnte, wie es auf den ersten Blick scheint. Und sehr bald versuchen mächtige Kreise die Ermittlungen zu verhindern. Doch es gibt noch weitere Todesfälle, deren gemeinsamer Nenner eine Klinik an einem See zu sein scheint, in der zu DDR-Zeiten Medikamente aus dem Westen getestet wurden. Alte Stasi-Seilschaften tun sich da mit der westdeutschen Pharmaindustrie zusammen und der Polizeiapparat scheint mit Auftragskillern gemeinsame Sache zu machen, um einen riesigen Skandal zu vertuschen.

„Die Toten von Marnow“ ist eine ambitioniert produzierte Miniserie, deren Vorbild die Polizei-Thriller-Serien aus Skandinavien sind. Im Stil dieser Nordic Noirs wird auch hier gern im Dunklen ermittelt. Da werden in schummrigen Wohnungen nicht etwa die Gardinen aufgezogen oder nachts die Zimmerbeleuchtung eingeschaltet. Und da das titelgebende „Marnow“ in der mecklenburgischen Seenplatte liegt (gedreht wurde in Mirow und Schwerin), erinnert auch dies an die vielen Krimis, die in der schwedischen Provinz spielen.

Wie etwa in „Die Brücke“ wird auch hier eine ganze Serienstaffel lang von einem Fall erzählt. Dieser muss deshalb extrem verwickelt sein, das Ermittlerteam muss sich auf falschen Fährten verirren, und da die Zahl der Handlungsträger nicht überhand nehmen darf, damit es nicht zu unübersichtlich wird, sind im Laufe der Serie so gut wie alle entweder verdächtig oder sie sterben.

In „Die Toten von Marnow“ geht es vor allem den Nebenfiguren an den Kragen. Sei es ein netter junger Polizeiassistent, eine Erpresserin oder ein korrupter LKA-Ermittler. Pro Folge muss mindestens einer von denen, die ihre dramaturgische Aufgabe erfüllt haben, möglichst blutig um die Ecke gebracht werden. Denn im Drehbuch von Holger Karsten Schmidt, das im Januar 2021 auch als Roman veröffentlicht und dann prompt von der Kulturredaktion des NDR als „Buch des Monats“ empfohlen wurde, wird geklotzt und nicht gekleckert.

In jeder Folge der Serie gibt es eine spektakuläre Actionsequenz. Da hängt der Kommissar dann an der Fassade eines Parkhauses, es gibt eine nächtliche Autoverfolgungsjagd und einen Mordversuch, bei dem die Opfer zuerst erstickt und dann verbrannt werden sollen. Jede der vier anderthalbstündigen Folgen muss ihren eigenen Spannungsbogen haben, aber dieser Overkill geht auf Kosten der Plausibilität, sodass die Geschichte immer absurder wird. So wird eine Schmutzkampagne gegen den Kandidaten für eine Bürgermeisterwahl, der mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht wird, in weniger als fünf Minuten abgehandelt. Und für die weitere Handlung hat dieser Erzählstrang keinerlei Bedeutung mehr.

Unter Krimikenner*innen, von denen es in Deutschland ja viele Millionen gibt, und für die TV-Produktionen wie diese ja gemacht werden, dürfte es für Heiterkeit sorgen, wie ungenau hier die Ermittlungsarbeit dargestellt wird. Da wird etwa aus mehreren Metern Entfernung auf einen Mann geschossen. Doch das Ermittlungsteam hält es lange für möglich, dass sich der Schuss zufällig beim Waffenreinigen gelöst haben kann.

Damit es nicht zu unübersichtlich wird, sind im Laufe der Serie so gut wie alle entweder verdächtig oder sie sterben

Aus jedem Konflikt wird noch der letzte Tropfen Emotion gemolken, und auch dies wirkt bald unfreiwillig komisch. Dabei ist der Regisseur An­dreas Herzog bei den wenigen ruhigen Sequenzen der Serie am besten. Etwa bei einer Szene zwischen Elling (so wird er, wohl als Hommage an den bekannten norwegischen (!) Spielfilm, von allen genannt) und seiner Frau, bei denen beide über das Ende ihrer Ehe sprechen, ohne dass dies mit einem Wort direkt angesprochen wird.

Auch bei der Filmmusik wäre weniger mehr gewesen. Der schwedische Jazzpianist Martin Tingvall hat sie komponiert und eingespielt. Und er beherrscht das Handwerk. Die Bandbreite der musikalischen Stilmittel ist beeindruckend. Mal spielt Tingvall solo auf dem Piano, mal orchestriert er sinfonische Soundimpressionen und für das Finale hat er sogar einen pathetischen Popsong mit dem Titel „Redemption“ aufgenommen. Jede Stimmung wird verstärkt, jeder Spannungsmoment überhöht, aber auch dies ermüdet auf die Dauer.

Tingvall ist daraus kein Vorwurf zu machen, aber Andreas Herzog, der schon bei einem Tatort mit ihm zusammenarbeitete, mag dessen Musik wohl zu gern, um ihn zu zügeln. Deshalb dient die Musik nicht dem Film, sondern sie übertönt ihn. Und so können die „Toten von Marnow“ auch deshalb nicht zur Ruhe kommen, weil es bei ihnen zu laut ist.

„Die Toten von Marnow“: Teil 1 und 2 am Do, 13. 3., ab 20.15 Uhr, ARD. In der ARD-Mediathek ist die Serie in acht 45 Minuten langen Episoden schon jetzt zu sehen

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