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: Wenn es in der Schule erlaubt ist, warum nicht im Bus?

Nach dem ersten Tag zurück in der Schule ist meine Tochter euphorisch. Die neuen Regeln nervten zwar, aber sonst sei es doch sehr schön, endlich die Lehrerinnen und Freunde wiederzusehen. Vor Schulbeginn war ich sehr skeptisch. So ausgebrannt ich von der Isolation mit einem Kind war, dessen Bedürfnissen ich immer weniger gerecht werden konnte, so sehr bewegte mich dennoch die Frage, warum die Schulen geöffnet wurden, bevor die lange versprochenen Schnelltests zum Einsatz kommen.

Das Anschreiben der Schule wirkte wenig beruhigend: Wir Eltern, so hieß es darin, sollten unsere Kinder gut darauf vorbereiten, dass sie von nun an im gesamten Schulgebäude eine Maske tragen und einen Abstand von mindestens 1,5 Metern zueinander halten sollten. Von Schnelltests und Luftfiltern kein Wort.

Ausgerechnet bei Sieben- bis Neunjährigen auf Abstand und Masken zu setzen, schien mir grob fahrlässig. Man könnte ja meinen, nach einem Jahr Pandemie seien Kindern, die ja bekanntlich schnell lernen, die AHA-Regeln in Fleisch und Blut übergegangen. An meiner Tochter aber habe ich zu meinem mütterlichen Verzweifeln in den letzten Wochen das Gegenteil beobachtet: Sobald sie endlich einmal unter Menschen kam – in der Regel nur im Supermarkt – drehte sie so auf, dass sie ausgelassen herumsprang. Die mütterliche Dauermahnung: Abstand! wurde zu einem Reizwort. Und auch der ständige Spruch „Du willst doch kein Corona bekommen“ hatte anscheinend seine Bedrohung verloren. Die Gefahr ist in einem Jahr Pandemie für meine Tochter abstrakt geblieben. Sie kennt niemanden, der an Corona erkrankt ist.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass die Lehrerinnen die Abstandsregeln in den Pausen durchsetzen könnten. Als ich mitbekam, dass eine Ärztin in meinem Umfeld ihre Tochter von der Schule freistellen wollte, da sie einen Schulbesuch in Zeiten stagnierender Infektionszahlen und ansteigender Fälle der britischen Mutation als zu gefährlich ansah, fragte ich dann doch einmal bei der Klassenlehrerin meiner Tochter nach, ob die Schule wirklich nur auf AHA-Regeln und Masken setze. Ihre Antwort, die Schule habe bereits seit geraumer Zeit Luftfilter und die Schnelltests kämen auch bald, beruhigte mich erst mal.

Tatsächlich scheint es mit der Umsetzung der Regeln im Schulgebäude erstaunlich reibungslos zu klappen. Meine Tochter hat sich sogar so an ihre Maske gewöhnt, dass sie sie beim Verlassen des Schulgebäudes nur abnimmt, wenn ich sie daran erinnere. Aber: Sie darf eine Stoffmaske tragen. Dass sie im Bus eine andere Maske tragen soll, versteht sie nicht: „Wenn es in der Schule erlaubt ist, warum dann nicht im Bus?“

Ich versuche zu erklären, dass die Stoffmasken weniger schützen als die medizinischen Masken. Sie fragt zu Recht: „Und warum dürfen wir sie dann in der Schule haben?“

Noch weniger versteht sie, dass sie ihre Klassenkameraden nach der Schule nicht treffen kann: „Ich sehe sie doch auch in der Schule.“ Ich versuche ihr verständlich zu machen, dass die Schulen nur unter der Bedingung geöffnet werden konnten, dass alle anderen Begegnungen auf ein äußerstes Minimum reduziert werden, damit das Virus keine Chance bekommt, sich weiter auszubreiten. Das scheint sie zu verstehen.

Am letzten Schultag der ersten Woche aber meint sie mit einem Mal: „Wenn ich mich entscheiden könnte zwischen Schule und Freunden, würde ich mich für Freunde entscheiden.“ Nachdenklich fügt sie hinzu: „Weißt du, ich brauche echt andere Kinder. Aber nur mit Freunden lernen und nicht Ball spielen zu können und alles, was Spaß macht, ist doof.“

Eva-Lena Lörzer