Verstörende Szenen im Kapitol

Mit schockierenden Videos geht die Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump in den ersten Tag des Impeachment-Verfahrens. Sie zeigen, wie zielstrebig die Eindringlinge vom 6. Januar waren

Lieferte einen starken Vortrag zur Verantwortung Donald Trumps für den brutalen Sturm aufs Kapitol: die demokratische Anklägerin Stacey Plaskett von den Virgin Islands Foto: Tom Williams/getty images

Aus New York Dorothea Hahn

Es war alles noch schlimmer. Am ersten Tag des zweiten Impeachment-Prozesses gegen Donald Trump zeigt die Anklage am Mittwoch im US-Senat bislang unveröffentlichte Aufnahmen der Sicherheitskameras im Kapitol. Darin flieht Senator Chuck Schumer im Laufschritt vor den herannahenden Stürmern, knüppeln und treten Eindringlinge auf einen am Boden liegenden Polizisten. Darin verbarrikadieren sich MitarbeiterInnen der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in einem Konferenzraum, während von außen Eindringlinge gegen die Tür treten und nach Pelosi rufen, der sie eine Kugel in den Kopf schießen wollen und bringen Sicherheitsleute den Vizepräsidenten Mike Pence in Sicherheit, während ein paar Gänge weiter der Ruf ertönt: „Knüpft ihn auf.“

Die 100 US-SenatorInnen sitzen mucksmäuschenstill in ihren Sesseln, als die AnklägerInnen aus dem Repräsentantenhaus am Mittwoch immer neue, brutale Details liefern. Die TV-Kameras, die das Impeachment-Verfahren live übertragen, sind ausschließlich auf das Rednerpult gerichtet.

Aber ReporterInnen im Saal sehen PolitikerInnen beider Parteien, die beim Zuhören den Atem anhalten. Andere, die nervöse Zuckungen im Körper haben. Und einen Kapitol-Polizisten, der seinen Blick an die Decke heftet, um seine Tränen zu stoppen.

Die Demokratin von den Jungferninseln, Stacey Plaskett, hält am Mittwochnachmittag eine von zahlreichen aufrüttelnden Reden. Wie die anderen demokratischen AnklägerInnen spickt sie ihre Rede mit Videos. Die Rekonstruktionen des Tat­hergangs zeigen, wie zielstrebig die Eindringlinge waren. Und dass sie sich auf einer Mission für den Präsidenten wähnten. Einer kleinen Gruppe von Polizisten, die sich ihnen entgegen stemmen, drohen sie: „Euer Boss schickt uns.“

Die AnklägerInnen wollen die Öffentlichkeit im Land und die RepublikanerInnen im Senat davon überzeugen, dass Ex-Präsident Trump für die Ereignisse des 6. Januar verantwortlich ist. Um ihn im Amtsenthebungsverfahren zu verurteilen und um ihm das Recht auf künftige öffentliche Ämter entziehen zu können, brauchen sie die Stimmen von mindestens 17 RepublikanerInnen im Senat. Bislang sind sie davon weit entfernt.

Die AnklägerInnen beschreiben den Sturm auf das Kapitol als das Ergebnis einer monatelangen Vorgeschichte. Der Ex-Präsident spielte darin die zentrale Rolle. Seit dem Frühling des letzten Jahres hat er seine Basis auf „gefälschte Wahlen“ und auf „das größte Wahldesaster der Geschichte“ vorbereitet. Während seine eigene Popularität sank, behauptete Trump, dass er die Wahlen nur verlieren könne, wenn es „Manipulationen“ gäbe.

In den zwei Monaten vor dem Tag, an dem sein Herausforderer Joe Biden mit mehr als sieben Millionen Stimmen Vorsprung gewann, marschierten von Trump aufgewiegelte bewaffnete AnhängerInnen nachts vor Privatwohnungen von WahlbeamtInnen auf und belagerten Wahlzentren in den entscheidenden Swingstates. Ihre Schlachtrufe stammten unmittelbar aus Trumps Tweets: „Stoppt den Diebstahl“ und „Stoppt die Auszählung“.

„Ohne Trump hätte dieser Angriff nie stattgefunden“

Stacey Plaskett, Anklägerin

Nach dem 3. November intensivierte er seine Kampagne. Er wartete auf Twitter und bei öffentlichen Auftritten mit täglich neuen Geschichten auf. Erfand „illegale Stimmen“, redete von „Toten, die gewählt haben“ und von „Müllhalden von weggeworfenen Stimmzetteln“. Am Mittwoch sagt der Demokrat und Mitglied des Anklageteams, Eric Swalwell, dem Senat: „Alles war recht, um die Wut anzustacheln.“

Kurz vor Jahresende begann Trump damit, seine AnhängerInnen aufzufordern, am 6. Januar nach Washington zu kommen. „Es wird wild“, versprach er. Trump kennt seine Basis, sagte Anklägerin Plaskett am Mittwoch vor dem US-Senat. Er habe gewusst und gewollt, dass sie wütend, aggressiv und bewaffnet ist. Und es sei auch keine Überraschung für ihn gewesen, was sie am 6. Januar in Washington vorhatten. Denn seine MitarbeiterInnen hätten Webseiten und Chat-Rooms der Rechten sorgfältig beobachtet.

Dort diskutierten Trump-AnhängerInnen Lagepläne des Kapitols, die eigene Bewaffnung und die geplante Gewalt gegen SpitzenpolitikerInnen. Dort schrieben sie: „Bringt Handschellen mit.“ Und: „Das Kapitol ist unser Ziel.“ Sie empfahlen: „Bereitet euch auf Krieg vor.“

Was passiert ist, „war kein Zufall“, sagt Anklägerin Plaskett dem Senat. „Es war Absicht. Donald Trump hat es monatelang vorbereitet. Ohne ihn hätte dieser Angriff nicht stattgefunden.“ Chef-Ankläger Jamie Raskin fasst das zusammen: Trump ist der „Chef-Aufwiegler“.

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