Armer kleiner Roboter

In die Realität eingreifen – das könnte der Kunst so passen. Die Ausstellung „Handlungsformate“ im Neuen Berliner Kunstverein kämpft mit den Grenzen dieses Anspruchs und einer großen Materialflut

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Auf Details ist zu achten. In der Ausstellung „Handlungsformate“ im Neuen Berliner Kunstverein stecken wichtige Informationen in den Beschriftungen. „Auf Anweisung des Künstlers im Jahr 2001 mit einer Nasskamera aufgenommene Gebäude in Bukarest“ steht unter dem Titel „Architecture Bucaresti“ von Daniel Knorr. Zu sehen sind kleine, grau verwischte Abzüge von Kolossalbauten der rumänischen Hauptstadt, sozusagen eine Marginalisierung des Monumentalen, ein Verwischen der protzigen Gesten der Macht in der Unschärfe. Die Bilder wirken in ihrem flüchtigen Gestus nostalgisch und erscheinen alt, obwohl viele der Gebäude, wie zum Beispiel Banken und Hochhäuser, erst in letzter Zeit entstanden sind. In der Mitte der Bildserie beginnen sich die Motive zu wiederholen, jetzt als Negativ, sodass die Konturen der Häuser im Dunkeln glühen, als würden sie brennen.

Das scheint wie ein vorweggenommener Untergang. Die neue Stadt sieht aus wie ihr eigenes Gespenst. Daniel Knorr hat die Bilder von einem alten Fotografen seiner Heimatstadt Bukarest machen lassen. Nicht, weil er selbst zu faul wäre, sondern weil er sich wohl weniger als Beobachter erster Ordnung sieht. Seine Arbeiten entstehen stets in einem Rahmen von Verweisen und in der Interaktion, sei es mit einem Flohmarkthändler in Brooklyn, dessen aus dem Müll geklaubte Waren Knorr via ISDN-Live-Schaltung in einer Ausstellungshalle in Kopenhagen verkaufen ließ, sei es mit dem Fotografen in Bukarest oder mit einem Werk der Kunstgeschichte wie die Performance von Bruce Naumann von 1968 (dem Geburtsjahr von Knorr).

Die wird in der Ausstellung in der NBK von einem kleinen Roboter nachgeahmt, der im Viereck herumfährt und in seiner Hülle aus einem Lüftungsrohr von sehr primitiver Gestalt ist. Fast tut er einem Leid, wie ein Kind, das Gedichte aufsagen muss. Solche Gefühle sind dann doch sehr erstaunlich gegenüber einer Kunst, die vorgibt, sich vor allem kritisch zu ihrem eigenen Wirkungsrahmen zu verhalten.

Knorr wurde zusammen mit Laura Horelli und Katya Sander von Marius Babias für die Ausstellungsreihe „Ortsbegehung 11“ im NBK eingeladen. Seit ihrer Erfindung vor elf Jahren erhält in jeder „Ortsbegehung“ ein Gastkurator, der oft zugleich als Kunstkritiker in Berlin arbeitet, die Gelegenheit, jüngere Künstler aus Berlin vorzustellen, die in seinen Augen ein wichtiges Thema der Gegenwart bearbeiten. Marius Babias hat sich als ehemaliger Kunstredakteur des Stadtmagazins Zitty, als Autor und als Initiator von Symposien einen sicheren Status als kritische Instanz erworben, die aber ein wenig an das Spiel von Hase und Igel erinnert. Denn gerade der Kunst mit explizit politischem Anspruch und dem Versuch öffentlicher Wirksamkeit rechnet er gerne vor, auch nur Teil eines Systems zu sein, mit dem sich die Institutionen schmücken und rechtfertigen.

Einerseits. Andererseits ist kaum vorstellbar, dass er vom Wunsch, über die Grenzen der Institution Kunst hinauszudringen, jemals lassen könnte. Für die Ausstellung „Handlungsformate“ und ihr Thema Öffentlichkeit führt das zu einer paradoxen Situation, die sich im Pressetext so liest: „Die Ausstellung ‚Handlungsformate‘ definiert den Neuen Berliner Kunstverein als öffentlichen Raum, der für die Kunst reklamiert wird.“ Weil aber nie etwas anderes als Kunst in diesen Räumen stattfindet, ist dieser Gestus der Besetzung etwas lächerlich. Die Öffentlichkeit, die kommt, wird nie eine andere als das Kunstpublikum sein, auch wenn sich die Künstler noch so sehr wünschen, in einem breiteren und gesellschaftlich relevanteren Rahmen zu agieren.

Man spürt in den Arbeiten von Laura Horelli und Katya Sander, 1976 und 1970 geboren, die Lust, sich in die Welt zu stürzen. Menschen zu begegnen und ihnen zuzuhören. Weit weg von jedem Geruch des Elitären das Leben an seinen Wurzeln zu packen. Die schönen Fotos etwa, die Laura Horelli von Skatern auf der Karl-Marx-Allee in Berlin und Demonstrationen auf dem Boulevard Kreshchatik in Kiew gemacht hat und die Videos und Interviews von Katya Sander aus dem Olympischen Dorf in München belegen ihre umtriebigen Recherchen, ihre Neugierde auf Stadtlandschaften und ihr Interesse an der Funktionalisierung und Nutzung des öffentlichen Raums. Sie forschen nach den Punkten, wo sich die Stadtbewohner ihren eigenen Reim auf die programmatischen Gesten repräsentativer Architektur machen.

Das ist ein sehr sympathisches Vorhaben. Die Formen ihrer Umsetzung allerdings sind konzeptuell ein wenig steif und schieben wieder eine große akademische Distanz zwischen Motive und Beobachtung. Katya Sander etwa zeigt ihre Interviews auf dem Fußboden einer Arena, die modellhaft im Ausstellungsraum aufgebaut wurde. Auch der Kamerastandpunkt für ihre Videos war erhöht, was an den Blick aus Überwachungskameras erinnert. Heute leben Studenten in den Appartements des Olympischen Dorfes, und ihre Antworten auf die Frage „Was ist Öffentlichkeit?“ sind auch nicht anders als bei jeder anderen beliebigen Umfrage. Es entsteht kein differenziertes Bild von Öffentlichkeit und der Geschichte ihrer Veränderungen, obwohl man die Suche danach immer als Motiv der Künstlerin vermutet. Letzten Endes ist das enttäuschend: viel Aufwand an Recherche und Darstellung für einen banalen Inhalt.

Im Katalog allerdings, in dem sich Horelli, Sander und Knorr mit weiteren Projekten, die sie in öffentlichen Räumen umgesetzt haben, vorstellen, erhält man ein besseres Bild von den Künstlern. Und begreift hier auch endlich, was Babias an ihnen wichtig war. Die kurzen Beschreibungen ihrer Projekte lesen sich interessant, interessanter vielleicht, als wenn man sich tatsächlich durch die Berge des Materials, das sie nutzen, arbeiten muss.

„Handlungsformate“ im Neuen Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa./So. 14–18 Uhr, noch bis 14. August