: Klangkunst nie todernst
Das Künstler*innenkollektiv Picnic obduziert die Sängerin Cathy Berberian
Von Jens Fischer
Zum 100. Geburtstag von Karl Marx, wollte Cathy Berberian die „Internationale“ intonieren, in Marilyn-Monroe-Piepsgesang – am Tag zuvor verstarb die US-amerikanische Mezzosopranistin an einem Herzinfarkt, mit nur 57 Jahren. Hier nimmt die Hommage des Künstler*innenkollektivs Picnic ihren Ausgang. „Interdisziplinär sein bedeutet bla-bla, da-da und pic-nic“, sagen die Hamburger*innen, mit Berberian wollen sie eine Freundin im Geiste porträtieren.
„A few words for a woman to sing“ ist die Stückentwicklung betitelt, die jetzt im Hamburger Lichthof-Theater zur Uraufführung kommt – als Livestream. Das sollte schon im November passieren, aber: Corona.
Draußen – vor coronabedingt geschlossenen Theatertüren –, sollen sie sich gegründet haben: Schauspielerinnen und Regisseur, Dramaturgin, Sängerin, Musiker/Komponist, Bühnen-/Kostümbildnerin und Videokünstlerin: Zusammen suchen sie einen eigenen Stil in der Verzahnung von Sprache und Musik. Assoziativ sucht Picnic nun die viel zu wenig gewürdigte Berberian theatral zu obduzieren. Mit hrer Drei-Oktaven-Stimme hätte sie „Tristan und Isolde“ singen können, entdeckte aber lieber Monteverdi neu, widmete sich Volksliedern, stellte Beatles-Hits als Barock-Koloratur-Arien satirisch aus und führte Klassik in die Farce.
In den 1960er- und 1970er-Jahren Jahren war sie eine maßgebliche Sängerin der Neuen Musik. Darius Milhaud, Igor Strawinsky, Hans Werner Henze, John Cage und Luciano Berio – mit dem sie 14 Jahre lang verheiratet war – komponierten für Berberian und die von ihr erforschten Stimmtechniken und -möglichkeiten. Sie war Muse und Medium für Werke, die nicht nur schöne Töne feiern, sondern genauso popkulturelle Bezüge, soziales Geräusch, alltäglichen Vokallaut. Mit ihr war zeitgenössische Klangkunst nie todernst.
„Anlass für posthumes Empowerment ist diese Frau“, sagt Picnic-Dramaturgin Lena Carle. „Gleichzeitig fragen wir nach dem Werk-Begriff: Wer ist der Schöpfer, wer bekommt die Anerkennung?“
Um all dem zumindest ansatzweise gerecht werden zu können, hat das Kollektiv die Produktion als Lecture Performance strukturiert: „Wir arbeiten andersherum als sonst üblich, erklären immer erst und spielen, zeigen es anschließend“ – neben online gefundenen Video-Artefakten dienen dazu auch Briefe Berberians. Deren Kunst analysiere man mithilfe von Susan Sontags „Anmerkungen zu Camp“, also verstanden als eine Ästhetik in Anführungszeichen, von Übertreibung und Künstlichkeit.
A few words for a woman to sing: Live-Stream-Premiere: Fr 12. 2., 20.15 Uhr; weitere Termine: Sa 13. 2., 20.15 Uhr, So 14. 2., 18 Uhr, www.lichthof-theater.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen