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Geschenk für den Geburtstagshasser

Ein Abend für Sprachliebhaber mit Genauigkeitsstreben: Zum 90. Geburtstag des österreichischen Autors und Dramatikers Thomas Bernhard streamt das Schauspielhaus in Hamburg Karin Henkels Drei-Bernhard-Texte-Inszenierung „Die Übriggebliebenen“ von 2019

Von Katrin Ullmann

Es gibt ja nichts Verlogeneres, als diese Geburtstagsfeiern, zu welchen sich die Menschen hergeben, nichts Widerwärtigeres als die Geburtstagsverlogenheit und die Geburtstagsheuchlerei.“ Nicht mal das Geburtstagfeiern konnte ihm ein heiteres Wort entlocken, dem wohl bekanntesten und begnadetsten Nörgler der deutschsprachigen Theaterwelt, dem österreichischen Schriftsteller und Dramatiker Thomas Bernhard.

Regelmäßig thematisierte er in seine Werken Österreichs verdrängte Nazi-Vergangenheit, rechnete mit Weggefährten ab. Seine Theaterstücke verursachten Skandale, seine Romane zogen Gerichtsverhandlungen nach sich. 1970 erhielt er den Georg-Büchner-Preis; spätestens seit den 1980er-Jahren gilt Bernhard als einer der sprachmächtigsten, politischsten und humoristischsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Am 13. Februar wäre Bernhard 90 Jahre alt geworden.

Tatsächlich starb Bernhard bereits 1989 im Alter von 58 Jahren. Anlässlich seines diesjährigen 90. Geburtstags, den er vermutlich gar nicht hätte feiern wollen – mal abgesehen davon, dass zurzeit niemand seinen Geburtstag feiern kann –, zeigt das Schauspielhaus am 9. Februar Karin Henkels Inszenierung „Die Übriggebliebenen“ im Stream. Premiere hatte die Inszenierung bereits am 16. Februar 2019.

Drei Thomas-Bernhard-Texte hat die Regisseurin für ihre Inszenierung ineinander gewoben und gemeinsam mit der Dramaturgin Rita Thiele aus den Stücken „Vor dem Ruhestand“, „Ritter / Dene / Voss“ und dem Roman „Die Auslöschung. Ein Zerfall“ eine eigene Textfassung destilliert. In allen drei Texten geht es um Familien. Um männerdominierte Geschwisterkonstellationen, um beunruhigende Elternhäuser, um lebenslangen Hass, Demütigung und in großen Teilen auch um faschistisch-nationalistischen Fanatismus.

Muriel Gerstner und Selina Puorger haben für diese Familienaufstellung ein düsteres, portalfüllendes Haus gebaut. Rundum, die Wände, die Decke, der Boden, schwarz. Es ist ein Haus wie ein Sarg. Düster, todverheißend. „Verwandtschaft bedeutet den Tod“, heißt es bei Thomas Bernhard auch. Und so leben dessen Figuren einerseits nur noch ein bisschen in diesem Haus, diese Verwandten, diese einander ausgelieferten Hass-Geschwister, und sind doch andererseits so gar nicht totzukriegen.

Drei Dreierkonstellationen werden angerissen: Drei Brüder jeweils, die in das Haus ihrer Kindheit zurückkehren. Gezwungenermaßen. Oder aus Gewohnheit. Alle drei stecken sofort wieder fest in ihrer Vergangenheit, dominieren die Dynamik unter den Schwestern, schüren Hass, Häme und Hitler-Verehrung. Langsam steigt der Zuschauer ein in die Parallelwelten, die sich in Karin Henkels Inszenierung ein und dieselbe Dunkelkammer teilen.

Bald entblößen die beiden Beinahe-Schauspielerinnen (Bettina Stucky, Gala Othero Winter) ihre defizitäre Ohnmacht gegenüber ihrem unberechenbar philosophierenden Bruder Ludwig (Lina Beckmann) und genauso bald zeigt sich Gerichtspräsident Höller (André Jung) in SS-Uniform und Feierlaune anlässlich Himmlers Geburtstag, den seine Schwester Vera (Angelika Richter) eilfertig mit Fürst-Metternich-Sekt ausrichtet. Während der „Auslöschung“-Protagonist Franz-Josef Murau (Tilman Strauß) – im Wechsel mit einem zehnköpfigen Kinderchor – erst mal und vor allem um seine kunstvoll aufgebahrten Unfallopfereltern herumstreift.

Alle drei stecken sofort wieder fest in ihrer Vergangenheit, dominieren die Dynamik unter den Schwestern, schüren Hass, Häme und Hitler-Verehrung

Als Geschichte bleibt jede der drei – eine hassenswerter als die andere – geordnet für sich. Allein die Textebenen verzahnen sich. Das Timing ist fein abgestimmt: Spricht Rudolf etwa von seiner Erkältung, setzt der aus der Anstalt nach Hause geholte Ludwig am Nachbartisch ein mit: „Ich bin nicht krank.“

So gesellt sich Krankheit zu Krankheit, Kindheit zu Kindheit, Elternhaus zu Vaterland, Gedankengut zu Denken, Unfall zu Tod und Selbstgemachtes zu Eingekochtem. Das ist sprachlich einleuchtend und macht ein paar große Bernhard’sche Themenwelten auf – doch leider auch gleich wieder zu. Denn das Stück, die Stücke wollen, sollen ja zu Ende erzählt werden. Und dafür lässt Henkel dann ihr großartiges Ensemble meist die Texte an der Rampe sprechen. Kühl. Technisch. Sprachgenau. Vermutlich ist es das, was den Abend dann ein wenig statisch und mechanisch wirken lässt. Diese fast eifrige Genauigkeit, die Ernsthaftigkeit, mit der die intertextuellen Bezüge aufgezeigt werden.

An diesem Abend dürfen Assoziationen keine Assoziationen bleiben, alles Gedachte muss unbedingt ausgesprochen werden. Auslassungen sind nicht erlaubt. Schließlich ist die Sprache die eigentliche Hauptperson, womit sich diese Inszenierung für ein Online-Streaming vermutlich besonders gut eignet. Ein Abend für Sprachliebhaber mit Genauigkeitsstreben und einer, an dem als weiterer Protagonist ein Bernhard-Zitat die Schauspielhausbühne zu betreten scheint: „Ich hasse die Menschen, aber sie sind gleichzeitig mein einziger Lebenszweck.“

„Die Übriggebliebenen“: Di, 9. 2., ab 19 Uhr, Stream auf www.dringeblieben.de; der Stream ist 24 Stunden lang verfügbar

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