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Archiv-Artikel

Im Visier der Medien

In keinem Land werden außerhalb von Kriegsgebieten so viele Journalisten ermordet wie in den Philippinen – allein dieses Jahr bereits sechs. Einige greifen deshalb jetzt selbst zur Waffe

VON SVEN HANSEN

„Wir glauben an den Spruch, dass der Stift mächtiger ist als das Schwert“, sagt der philippinische Journalist Joel Sy Egco. „Aber das Problem ist, dass unsere Gegner Waffen einsetzen, um uns zum Schweigen zu bringen. Deshalb sollten wir wissen, wie wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen können.“ Egco ist Vorsitzender der neu gegründeten Journalistenorganisation ARMED (Association of Responsible Media – Vereinigung verantwortungsbewusster Medien), welche die Bewaffnung von Journalisten propagiert und sie im Gebrauch von Waffen trainiert. Bei einer Pressekonferenz auf einem Schießplatz in Manila, wo ARMED erstmals Ende Mai für Journalisten ein Schießtraining durchführte, beklagte Egco, dass die Gewalt gegen Reporter zunehme, die Regierung zu passiv sei und die Justiz zu langsam arbeite.

Anlass zur Gründung von ARMED ist die wachsende Zahl getöteter Journalisten in dem südostasiatischen Land. Im bisher tödlichsten Jahr 2004 wurden nach Angaben des philippinischen Journalistenverbands NUJP 13 Reporter getötet. Damit liegt das Land nach dem Irak weltweit an zweiter Stelle. In diesem Jahr wurden laut NUJP bereits sechs Journalisten im Zuge ihrer Berufsausübung ermordet.

Die Philippinen haben eine freie Presse. Doch viele, die sich über Berichte ärgern, greifen lieber direkt zur Waffe statt die Gerichte zu bemühen. Seitdem die Philippinen nach dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos 1986 zur Demokratie zurückkehrten, wurden laut NUJP 69 fast ausschließlich männliche Reporter getötet. Die meisten waren Lokaljournalisten, die mit ihren Berichten bei örtlichen Potentaten, Drogenkartellen oder korrupten Beamten aneckten. Die Justiz gilt als korrupt und ineffektiv. Dagegen sind in dem gewaltgeprägten Land, wo zahlreiche Rebellengruppen aktiv sind, Waffen leicht zugänglich und Killer schon für geringe Beträge anzuheuern.

Wie der Internationale Journalistenverband IFJ bei einer Untersuchung im Januar herausfand, führt zudem die Praxis des so genannten „Blocktiming“ zur Gefährdung von Journalisten, da sie die Vernachlässigung journalistischer Standards begünstigt. Viele der Getöteten waren Moderatoren, die von ihren Radiostationen selbst ihre Sendezeit kaufen und diese an Sponsoren und Werbekunden weiterverkaufen mussten. So waren die Journalisten selbst nicht mehr unabhängig und neigten zu effektheischenden Provokationen.

„Nicht alles kann in diesem Land mit einer Kultur der Gewalt begründet werden,“ erklärte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ im Mai bei der Vorstellung eines Untersuchungsberichts. „Es herrscht auch eine Kultur der Straflosigkeit, für welche die höchsten Vertreter des Staates verantwortlich sind, die es Mördern und ihren Auftraggebern erlaubt, so viele Journalisten in allen Ecken des Landes zu töten.“ Die Regierung von Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo versprach wiederholt Hilfe und setzte eine Belohnung von fünf Millionen Peso (70.000 Euro) für Hinweise auf die Mörder von Journalisten aus. Trotzdem fühlen sich die Reporter allein gelassen – ganz abgesehen davon, dass sie nicht selten auch von Polizisten bedroht werden.

Die Polizei behauptet, die Hälfte aller Mordfälle gelöst zu haben und sogar 90 Prozent aller Fälle nach dem Januar 2004, als die Sondereinheit „Newsmen Task Force“ eingerichtet wurde. Allerdings sieht die Polizei einen Fall bereits als gelöst an, wenn Verdächtige identifiziert oder festgenommen wurden. Vertreter der „Task Force“ räumten denn auch gegenüber „Reporter ohne Grenzen“ ein, dass seit 1986 nur fünf Personen wegen Morden an Journalisten verurteilt wurden. IFJ konnte gar nur einen Fall ermitteln.

Seit August 2004 ist Journalisten nun das Tragen von Waffen erlaubt. Nachdem in diesem Mai der Boulevardjournalist Pablo Hernandez in einem Vorort Manilas die Schüsse von zwei Killern erwidern konnte und so schon den zweiten Mordversuch überlebte, begann ARMED – ermuntert von der Polizei – mit dem Schießtraining. Zwei Wochen zuvor war allerdings im Süden des Landes der Radiojournalist Cline Cantoneras trotz Gegenwehr mit einer Pistole von mehreren Männern erschossen worden. Cantoneras, der im Lokalsender der Provinzhauptstadt Dipolog Korruption anprangerte, hatte schon mehrfach Morddrohungen per SMS enthalten, die er in seiner Sendung verlas.

Viele Journalisten lehnen eine Bewaffnung ab. „Ich werde keinen Journalisten, der meint, er bräuchte eine Waffe, davon abhalten, sofern er sich an die Waffengesetze hält“, sagt die NUJP-Vorsitzende Inday Espina-Varona. „Aber Waffen sind keine Lösung.“ Sie hält Bewaffnung vielmehr für einen Akt der Verzweiflung, mit dem die Reporter die Regierung aus der Verantwortung entließen. „Damit wird anerkannt, dass die Regierung beim Schutz von Journalisten gescheitert ist.“ Die Lösung könne nur darin bestehen, Mörder und ihre Hintermänner vor Gericht zu bringen. Zugleich müsse die Ausbildung und Bezahlung der Journalisten verbessert werden.

ARMED-Präsident Egco, der bei der Tageszeitung Manila Standard Today Polizeireporter ist, besitzt inzwischen vier Waffen, darunter eine Maschinenpistole. Er räumt ein, dass Schießtraining nur ein Teil des Schutzes sein kann. ARMED will daher auch ein Handbuch herausbringen, in dem das Erkennen und Vermeiden gefährlicher Situationen beschrieben wird: „Der Gebrauch der Waffe darf nur die letzte Option sein.“