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Osman Engin Die Corona-ChronikenDie Coronawespe

Foto: privat

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Mitten in der Nacht werde ich wach. Mein Kopf tut fürchterlich weh – Corona! Vorsichtig taste ich meinen Kopf ab und treffe auf eine riesengroße Beule. Entweder Corona, oder ein Gehirntumor – oder beides! Wo kämen denn sonst so plötzlich die rasenden Kopfschmerzen her? Ich muss sofort ins Krankenhaus! Vielleicht hab ich noch eine klitzekleine Chance zu überleben.

„Osman, wo willst du denn um diese Zeit hin?“, fragt Eminanim schlaftrunken.

„Ich muss ins Krankenhaus! Ich bin am Sterben!“

„Schon wieder?“, gähnt sie.

Innerhalb von dreißig Sekunden sitze ich angezogen in meinem Transit und rase zum Krankenhaus. Mit meinen verbleibenden Kräften drücke ich gegen die Tür. Vergebens! Bei Allah, wie schwach ich doch schon bin! Ich erblicke ein Schild an der Tür: „Ziehen“. Ich ziehe um mein Leben. Wieder nichts!

„Nein, Klaus, Nein! Das kannst du von mir wirklich nicht verlangen“, brüllt die Nachtschwester mich über den Lautsprecher an.

„Ich bin nicht Klaus! Und ich verlange nur, dass Sie die Tür öffnen“, flehe ich sie an.

„Klaus, bitte, das kann ich nicht!“

„Gut, wenn Sie unbedingt wollen, heiße ich eben Klaus. Aber bitte machen Sie endlich die Tür auf.“

„Mann, was wollen Sie denn zu dieser unmöglichen Zeit von mir?“

„Ich habe ganz fürchterliche Schmerzen und einen riesigen Coronatumor. Genau hier!“

Oh nein! Mein Tumor ist viel größer geworden. Mit jeder Sekunde nähere ich mich dem Tode, und in diesem Krankenhaus nimmt niemand Notiz davon.

„Setzen Sie sich auf den Stuhl dort, ich sage dem Arzt Bescheid“, meint die Schwester.

„Wo ist denn der Arzt?“, frage ich erschöpft.

„Der schläft.“

Unglaublich! Der Einzige, der mich vielleicht doch noch hätte retten können, schläft! Und die Schwester führt Liebesgespräche. Ich würde mich nicht wundern, wenn der Arzt Klaus heißt. Nach ungefähr tausend Jahren kommt der Arzt gähnend um die Ecke.

„Was haben Sie denn?“, fragt er.

„Ich habe Corona, ich habe Tumor, ich sterbe!“

„Wo haben Sie das alles?“

„Hier oben!“

Mit einer Hand untersucht er meinen Kopf.

„Ist das alles, was Sie an Corona, Tumor oder sonstigen fürchterlichen Krankheiten haben?“

„Ja! Reicht Ihnen das nicht?!“

„Das ist nichts weiter als ein Wespenstich. Schlafen Sie bei offenem Fenster?“, lacht er.

„Wie bitte? Nur ein Wespenstich?“

„Bitte stören Sie uns nicht noch mal wegen so einer Lächerlichkeit!“

Dieser Wichtigtuer! Der hat gut reden! Er arbeitet ja bereits im Krankenhaus und muss nicht wie ich jede Nacht hierher zum Coronanotarzt kommen.

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