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dvdeskGlücklicher Beifang im Fischzug des Filmerbes

„Marie-Octobre“ (F 1959, Regie: Julien Duvivier). Die DVD ist ab rund 12 Euro im Handel erhältlich.

Geschichte ist das, was vergeht und verschwindet. Film- und Fernsehgeschichte erst recht. Der Platz im kollektiven Gedächtnis ist knapp. In Deutschland, wo der Film von der Hochkultur-Legitimität, die Kunst und Theater genießen, bis heute sehr weit entfernt ist, schon gar. Filmmuseen und -archive sind finanziell schlecht ausgestattet, die Fernsehsender schieben die Ausstrahlung älterer Filme immer weiter auf Nacht- und Randpositionen, die Streaming-Riesen wie Netflix kümmern sich schon gar nicht darum. Es gibt das DVD-Label der Filmmuseen, aber gegen die große Furie des Verschwindens hat es mit seinem winzigen Output kaum eine Chance.

So ist, was zugänglich bleibt, zum großen Teil vielfältigen Zufällen überlassen. Hat damit zu tun, was irgendjemand eher semilegal auf Youtube gestellt hat. Und damit, was von kommerziellen DVD-Labels auf den Markt gebracht wird, die auf wenig systematischen Fischzügen Rechte an älteren Filmen und Serien erwerben, Klassiker darunter, anderes halb oder dreiviertel vergessen, von einstigen Sonntagnachmittags-Fernsehausstrahlungen erinnert, wenn auch nur von älteren Generationen.

Koch-Media ist so ein Label in Deutschland, aber auch Pidax. In den offiziellen Listings von Neuerscheinungen tauchen deren DVDs meist gar nicht auf. Es ist zu viel, es sind keine Liebhaber-Editionen, auch wenn sie, bei Pidax zumindest, durchaus seriös gemacht sind, ohne natürlich historisch-kritischen Ansprüchen zu genügen.

Allein im November und Dezember 2020 sind bei Pidax knapp vierzig neue DVDs mit historischen Filmen und Fernsehserien erschienen. Querbeet ist das Wort, das die Auswahl am ehesten auf den Punkt bringt. Von Blake Edwards’spielfilmlangem Fernsehserien-Piloten „Peter Gunn“ (von 1989, es wurde nie eine Serie daraus) zu „Monsieur“ mit Liselotte Pulver und Jean Gabin (1964), von einer DVD mit 22 Folgen der Serie „Renegade“ mit Lorenzo Lamas aus den Neunzigern zum von Artur Brauner produzierten und mitgeschriebenen Holocaust-Drama „Der Rosengarten“ (1989) mit Liv Ullmann und Maximilian Schell: Es ist für alle Geschmäcker etwas dabei.

Und mit einer neu synchronisierten Fassung von „Marie-Octobre“ (1959), Regie Julien Duvivier, ist auch ein Film darunter, der zumindest in Frankreich Klassiker-Status hat. Er erzählt von einer Gruppe von französischen Widerstandskämpfern, die sich fünfzehn Jahre nach Ende des Kriegs in einem Landhaus treffen. Es lädt die einzige Frau der Gruppe, die von dem einstigen Star Danielle Darrieux gespielte Marie-Octobre, dazu ein, und es wird ein Agatha-Christie-artiger Krimi daraus, der sich um die Frage dreht, wer die Gruppe einst an die Nazi verraten hat, wodurch ihr Anführer starb.

Was auf Pidax bezogen nur zeigt: Gerade wo eine gewisse Wahllosigkeit bei der Auswahl regiert, lassen sich immer Entdeckungen machen

Duvivier hat mit „Pépé le Moko“ 1937 mindestens ein Meisterwerk gedreht, anderes ist Routine, gleich nach „Marie-Octobre“ hat er in Deutschland etwa Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ mit durchschlagendem Misserfolg verfilmt, darauf ironischerweise ein Paris-Drama mit Jean-Pierre Léaud. Der war gerade berühmt geworden mit Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“, der genau eine Woche nach „Marie-Octobre“ ins Kino gekommen war – und wie kaum ein anderer Film die Ablösung des Qualitätskinos symbolisiert, für das ein Könner wie Duvivier beispielhaft steht.

„Marie-Octobre“ ist ein Kammerspiel, nach dem Vorspann komplett auf einen Raum konzentriert. Die Darsteller, darunter Lino Ventura und Bernard Blier, sind exzellent, die Inszenierung ist virtuos, die Kamera dynamisiert das dialogreiche Geschehen zu wechselnden Gruppenaufstellungen in (Halb-) Großaufnahmen. Was auf Pidax bezogen nur zeigt: Es lassen sich, gerade wo eine gewisse Wahllosigkeit bei der Auswahl regiert, immer Entdeckungen ­machen. Ekkehard Knörer

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