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Archiv-Artikel

Tourismus im kriegsversehrten Irak?

AUGENWISCHEREI Iraks Tourismusminister will mit einer Imagekampagne den Blick auf die Schätze des Landes lenken

„Grabräuber und Soldaten haben schon genug Schaden angerichtet. Touristen sind das Letzte, was wir noch brauchen“

EIN ARCHÄOLOGE

VON INGA ROGG

Zumindest für die irakische Regierung, genauer gesagt das Tourismusministerium, ist es das neue Zauberwort. Vor ein paar Tagen hielt der Minister eigens eine Konferenz ab, um den Blick auf das ungemeine Potenzial zu lenken, das der Irak in diesem Bereich hat. Die Namen, die er dabei aufzählte, klingen wie das Einmaleins der alten Hochkulturen. Die Reiche und Stadtstaaten von Sumer, Assyrien und Babylonien, Alexander der Große und verschiedene persische Dynastien – mehr als 12.000 archäologische Fundstätten zählt der Irak. Wenn es nach dem Minister geht, sollen die Orte im ehemaligen Mesopotamien, dem Land zwischen den beiden Flüssen an Euphrat und Tigris, schon bald wieder Besucher aus aller Welt anlocken. Darüber hinaus biete sein Land einmalige Sehenswürdigkeiten der islamischen Geschichte wie etwa die schiitischen Heiligtümer von Nadschaf, Kerbela, Bagdad und Samarra.

Archäologen und Hotelbesitzer schlagen angesichts der Werbekampagne der Regierung allerdings die Hände über dem Kopf zusammen. „Die Regierung betreibt Augenwischerei“, sagt ein Mitarbeiter des Nationalmuseums. Mit großem Pomp hatte Regierungschef Nuri al-Maliki das Museum Anfang des Jahres wieder eröffnet. Kaum waren Maliki und sein Tross verschwunden, schloss es die Pforten erneut. „Nicht einmal wir Iraker sind hier sicher. Wie sollen es dann die Europäer sein“, schimpft der Museumsmitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Sagen sie bloß jedem, dass er sich vom Irak fernhalten soll.“

Altertumskundler fürchten zudem, dass die Regierung die historischen Stätten in ein archäologisches Disneyland verwandeln könnte. So, wie es Saddam Hussein mit seinen Restaurierungsarbeiten im antiken Babylon getan hat. In einem direkt neben der Ausgrabungsstätte errichteten Palast vermietet die Provinzregierung das angebliche Schlafzimmer des Diktators heute an Frischvermählte. „Grabräuber und Soldaten haben schon genug Schaden angerichtet“, sagt ein Archäologe. „Touristen sind das Letzte, was wir noch brauchen.“

Kritik an der Imagekampagne gibt es auch aus Kreisen der Regierung. Die Initiative des Tourismusministeriums sei nichts als Propaganda, um das Image von Regierungschef Nuri al-Maliki aufzupolieren. Malikis Ansehen hat nach den schweren Anschlägen auf mehrere Regierungseinrichtungen Mitte August schwer gelitten. Obwohl es die Anschläge im Irak heute kaum noch in die Nachrichten schaffen, ist die Gewalt weiterhin enorm. In Bagdad vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mehrere Sprengsätze explodieren. Trotz der Risiken hat vor ein paar Monaten ein britischer Reiseveranstalter erstmals seit 2003 Gruppenreise in den Irak organisiert. Die Erfahrungen waren so ernüchternd, dass er die Irakreisen bis auf Weiteres aus dem Programm genommen hat.

Außer dem Pilgertourismus von Schiiten aus aller Welt zu den heiligen Stätten blüht derzeit nur der Binnentourismus nach Kurdistan. Lokale Reiseveranstalter in Bagdad bieten Kurztagestrips nach Erbil, Suleimania oder Dohuk an. In den heißen Sommermonaten gönnen sich ganze Familien eine mehrwöchige Auszeit im Norden. Der kurdische Teilstaat hat eigene Sicherheitskräfte, die das Gebiet so rigoros kontrollieren, dass selbst Europäer oder Amerikaner durch die Straßen bummeln können.

Der romantisierenden Werbekampagne „Der andere Irak“ vertraut man aber besser nicht. Darin wirbt die Regierung mit den historischen Stätten wie der Zitadelle von Erbil, ehemaligen jüdischen Quartieren, christlichen Dörfern und der landschaftlichen Schönheit ihrer Bergwelt. Wer auf die raue Bergwelt steht, kommt zweifelsohne auf seine Kosten, wandern oder gar bergsteigen kann man in Kurdistan freilich nicht. In vielen Gegenden liegen noch immer Minen aus den zahllosen Kriegen, die hier in der Vergangenheit tobten.

Und in den Grenzgebieten, wo enge Schluchten und Wasserfälle locken, riskiert man leicht, in die politischen Händel in der Region zu geraten. Ende Juli nahmen iranische Revolutionswächter drei Amerikaner im Grenzgebiet östlich von Suleimania fest, die angeblich illegal die Grenze übertreten hatten. Seitdem sitzt das Trio in Haft, mit einer schnellen Freilassung rechnet niemand.

Es sind freilich nicht nur die Gebiete, die an den Iran oder der Türkei grenzen, wo der Guerillakrieg mit der türkisch-kurdischen PKK schwelt, die gefährlich werden können. Im Westen und Süden der autonomen Region dauert der Konflikt zwischen Arabern und Kurden um die Kontrolle der erdölreichen Gebiete um Mossul und Kirkuk an. Islamistische Extremisten haben mit einer Serie von Bombenanschlägen die Spannungen in den letzten Wochen weiter angeheizt.

Viele Länder, darunter auch Deutschland, warnen vor Reisen in den Irak. Dass sie Kurdistan davon nur partiell ausnehmen, wurmt die Regionalregierung. Bewaffnete Straßenkontrollen und Betonwälle vor Regierungseinrichtungen und Hotels zeigen freilich, dass auch sie dem Frieden nicht ganz traut. Abgesehen davon fehlt es der Region an Infrastruktur. Dafür entschädigen auch die touristischen Highlights kaum, zumal Preis und Leistung bei den Hotels weit auseinanderklaffen.

Und Reisende ohne Sprachkenntnisse kommen in der Region kaum weiter. Kurdische Tourismusexperten rechnen deshalb nicht mit einen schnellen Boom. „Unser Nachholbedarf ist enorm“, sagt der Inhaber eines Reisebüros. „Unsere Nachbarländern bieten einfach mehr, und Sorgen müssen sich Europäer dort auch keine machen.“