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Archiv-Artikel

„Kunst ist zu wenig fürs Leben“

POPSTAR Ein Gespräch mit Jochen Distelmeyer über sein Soloalbum „Heavy“, seine Stimme, die Songs, den Hass

Jochen Distelmeyer

geb. 1967 in Bielefeld, veröffentlichte soeben sein erstes Soloalbum. „Heavy“ ist weniger ein Comeback als die konsequente Fortsetzung eines Werks, das Distelmeyer als Sänger und Songschreiber von Blumfeld begann. Keine andere deutsche Band der vergangenen zwanzig Jahre hat die Diskursmaschinerie der Medien und die Leidenschaften der Fans so sehr angefacht wie diese 1991 in Hamburg gegründete Formation. Vor zwei Jahren verkündete Jochen Distelmeyer das Ende der Band. Aber an den Themen und musikalischen Entwürfen hat sich, wie das Soloalbum nun zeigt, seit Blumfeld nichts geändert. „Am Ende ist es nur ein Song“ lautet nicht umsonst eine der Zeilen, mit denen „Heavy“ ausklingt.

INTERVIEW ULRICH RÜDENAUER

taz: Herr Distelmeyer, Ihr neues Album beginnt mit dem A-cappella-Stück „Regen“. Es knüpft an Ihre Vergangenheit an und macht zugleich deutlich: Ich bin solo. Haben Sie das bewusst an den Anfang gestellt?

Jochen Distelmeyer: Schon bevor wir ins Studio gegangen sind, war klar, dass dieses Stück der Auftakt sein würde. Es erinnert an Sprechtexte von früheren Alben, und ich fand es ganz schön, dass „Regen“ die Platte so nackt, offen einleitet und dass aus dieser Stille, aus diesem geträumten Traum schließlich die Feedbacks hervorkommen.

Ihre Stimme stand ja bereits bei Blumfeld im Zentrum; sie scheint im Lauf der Zeit reiner, klarer, popmäßiger geworden zu sein.

Abgesehen davon, dass sich im Laufe eines Lebens jede Stimme verändert, habe ich nie den Eindruck gehabt, dass sich meine Stimmlichkeit oder meine Gesangsstimme durch irgendwelche Skills oder Tricks verändert hätte. Ich habe eigentlich immer so gesungen, wie ich singe, auch schon vor Blumfeld.

War da nicht eine größere Souveränität im Umgang mit Ihrer Stimme?

Das war immer etwas, worauf ich vertrauen konnte. Bei den ersten beiden Blumfeld-Alben wollte ich die Texte eher so nahe wie möglich am Text sprechen oder rappen. Die Stücke waren auf eine andere Art gebaut, und HipHop spielte damals für mich eine größere Rolle als Gesang. Später habe ich die Texte wieder mehr gesungen.

Könnte man Ihre Stimme als eine unmaskierte beschreiben – im Gegensatz zu der von Bob Dylan, der seine Stimme immer wieder stark verändert hat?

Bob Dylan hat sich eine Stimme erfunden. Er hat sich quasi gegen seine eigentliche Stimme entschieden. So eine Veränderung bei einem Künstler wie ihm ist eine unfreiwillige, weil er die ganze Zeit gegen seine eigene Stimme ansingt und sich dadurch seine Stimmbänder kaputt macht. Ein erfundener Orpheus sozusagen. Eine Selbsterfindung. Es gibt ein schönes Bild dafür: Die schwache Stimme entwickelt durch den Anschluss an ein Mikrofon orphische Qualität.

Die Stimme erhält durch diese mystische Aufladung auch Macht.

Ja klar, das hat sicherlich etwas mit Macht zu tun. Ich würde das nicht so machen, ich hab mir nie eine Stimme erfunden.

Die Stimme im Pop transportiert ja meist schon die Semantik des Stückes mit. Funktioniert es bei der Rezeption englischsprachiger Popmusik besser? Ist das ein Problem bei deutscher Musik?

Funktioniert trotzdem. Wenn es Stücke gibt, für die ich noch keinen Text habe, sondern nur eine Gesangsmelodie, habe ich oft das Gefühl, dass die Musik schon etwas über den zu singenden Text weiß. Dann ist es eine Frage des Daraufhörens. Ich denke aber nie darüber nach, sondern lass es passieren.

Kann auch der Text zuerst da sein?

Ja, oder eine Idee zu einem Text. Aber das ist nie eine Sache, die am Schreibtisch entsteht oder herausgearbeitet würde. Das kommt, wenn es kommt.

Hat sich seit der Auflösung von Blumfeld etwas am Kompositionsprozess geändert?

An der Arbeit nicht. Allerdings fühlt es sich für mich so an, als wäre meine Position jetzt eine andere. Geändert hat sich, wie ich mich gewissen mir wichtigen Fragen stelle. Ich betrachte sie aus einem anderen Winkel.

Weil Sie jetzt nicht mehr für eine ganze Band sprechen?

Nein. Mit „Verbotene Früchte“ war der Blumfeld-Zusammenhang abgeschlossen. Möglicherweise begegnen mir viele Dinge immer wieder, aber mein Verhältnis dazu wird anders sein. Das Bild war gemalt. Next.

War die Auflösung eine Möglichkeit, den mächtigen Zuschreibungen zu entkommen?

Es gab für mich nichts, dem ich entfliehen musste. Ich habe auch die teils aggressiv-polemischen Reaktionen auf das, was wir veröffentlichten, und wie wir als Band wahrgenommen wurden eher gelassen betrachtet. In der Vehemenz, mit der Leute auf einen reagierten, habe ich eine zornige Verzweiflung gespürt. Einige kamen nicht damit klar, dass sich jemand unverstellt das Recht herausnimmt, zu machen, worauf er Bock hat – und sich nicht schert um die Style-Polizei.

Sie meinen die Sehnsüchte vieler Fans der ersten Stunde nach der Prä-Pop-Phase.

„Frieden hat man, wenn man das, wozu man Gegnerschaft empfindet, als Teil von sich selbst begreift“

Ich habe, was die Bedingungen meiner Arbeit betrifft, keinen Bezug mehr zu dem, was vor zehn Jahren war. Ich kann nicht einfach von heute wieder dorthin zurückspringen. Das entwickelte sich aus einer gelebten Bewegung oder aus einem bewegten, Veränderungen unterworfenen Leben. Vielleicht habe ich mir hier und da gewisse Sachen vorgenommen. Aber das war dann jederzeit von einem Gefühl getragen und keine arbeitsstrategische Überlegung.

War nach dem Blumfeld-Ende gleich der Entschluss da, ein Soloalbum aufzunehmen?

Ich wusste von Anfang an, dass ich irgendwann eine Platte machen würde, auch wenn ich mir vorgenommen hatte, das Liederschreiben ein bisschen länger ruhen zu lassen. Das hat aber nicht geklappt. Ich konnte mich diesem Sog nicht widersetzen. Es entstand also kontinuierlich etwas, und ich habe mich darum gekümmert, Musiker zu finden. Dann war alles klar: Stücke spielen. Gucken, mit wem man das koproduzieren könnte. Studio auswählen. Rein. Machen.

Sie machten dann unter anderem „Wohin mit dem Hass?“. Den Schlusspunkt bildet das versöhnliche „Murmel“. Ein langer Weg vom Hass über verschiedene Facetten der Liebe bis zum kleinen Alltagsglück.

Diesen Anfangsaffekt zu verwandeln war meine Absicht. Oder zumindest zu versuchen, die Verwandlung spürbar zu machen. Diese Idee des Verwandelns wird als ein Strang des Albums durch „Wohin mit dem Hass?“ eröffnet. Das Stück handelt nicht davon, wie sich Aggressionen aufbauen, sondern es sagt nur, dass sie da sind. Und es handelt davon, wie man mit diesem Gefühl umgeht.

Hass ist hier sehr diffus verstanden.

Ja, das wächst und wuchert weiter und gärt. Und dann ist die Frage: Was macht man damit? Es ist dann ein ganz dienlicher Move, zu sagen: Okay, „gebt mir euren Hass und seht mir zu, wie ich ihn für euch verwandle“.

Ist das nicht eine Zurücknahme des ursprünglichen Affekts?

Nein, keine Zurücknahme. Es geht auch darum, den Hass sein zu lassen, ihn anzugucken oder bereit zu sein, ihn zu spüren. Ich bin manchmal überrascht, wie friedlich und zivilisiert es hier auf den Straßen noch zugeht. Manchmal finde ich das fast schon bewundernswert. Manchmal denke ich aber einfach nur, das ist fatal.

Ist das Lethargie? Resignation?

Vielleicht ist es auch einfach ein sehr gesunder Umgang. Ich weiß nur, dass etwas in der Luft liegt, was sich für gewöhnlich immer irgendwie entlädt. Auf welche Art und gegen wen, kann ich nicht genau einschätzen. Aber vielleicht sind die Leute wirklich schlauer geworden. Vielleicht auch nur verängstigter.

„Komm und wehr dich“ heißt es passend dazu in Ihrem Song „Hiob“. Das hat wenig mit der biblischen Vorlage zu tun.

Es ist die Frage, wie man Hiob liest. Ich glaube nicht, dass Hiob hinnimmt und duldet. Hiob rebelliert gegen Gott und fordert ihn heraus, er legt etwas offen und setzt sich auf seine Art gegen Gott durch.

Durch seine Leidensfähigkeit?

Durch sein Festhalten an seinem Glauben, an seiner Liebe und durch das Offenlegen der latent von Opferritualen geprägten Muster, die in dieser Geschichte wirken. Hiob ist einer der ersten Texte, der mit klassischen Opfertraditionen, mit der gesellschaftlichen Opferfunktion zur Befriedung von gesellschaftlichen Konflikten und Unruhen, insofern bricht, als er sie offenlegt. Anders als in der griechischen Antike, wo das zum unhinterfragten Setting gehörte.

„Ich habe die teils aggressiven Reaktionen auf Blumfeld immer gelassen betrachtet“

Ist es das, was Sie daran interessiert hat?

Nö, das ist nur die Antwort auf Ihre Frage. Es kommt eben darauf an, wie man den Text versteht – nämlich so, dass da einer auf eine sehr selbstbewusste, demütige, aber standfeste Art gegen Ungerechtigkeit rebelliert. Am Song hat mich die Frage interessiert, ob und wie das Schicksal einen testen will.

Und vielleicht auch, wie man mit Widerstreitendem fertig wird? In „Hiob“ und in „Er“ taucht in diesem Sinne ein Doppelgängermotiv auf.

Ja, das ist auch etwas, was man anerkennen muss: Man kann das andere Ich eben nicht abspalten. Jedenfalls ist das nicht mein Weg.

Man muss die Widersprüche ausstellen?

Vielleicht gelangt man zu einem Frieden nur dann, wenn man das, wozu man spontan Gegnerschaft empfindet, als Teil von sich selbst begreift. Dadurch bekommt man ein etwas entspannteres Verhältnis dazu. Ist zwar anstrengender, wenn man merkt, wie leichtfertige Projektionen auf andere oder auf Dinge im Moment des Erkennens nicht mehr haltbar sind, wenn man spürt, dass die Bilder – die Dämonen, Ängste oder Sehnsüchte – in einem selbst wirkende Kräfte sind. Aber einer der Schritte zur Verwandlung führt eben über Anerkennung.

Und aus der Verwandlung entsteht Kunst?

Für einen Song gilt das natürlich, aber fürs Leben reicht es nicht, wenn es Kunst ist. Kunst, das ist zu wenig fürs Leben.