: Post aus der Hölle des Lebens
Was sind schon Spam-E-Mails? Der alltägliche Schwachsinn landet im Briefkasten der taz
Wieder einmal vertritt taz-Kolumnist Helmut Höge in der sommerlichen Urlaubszeit für ein paar Wochen einige der bewährten Mitarbeiter im Redaktionshaus. Zu Höges Aufgaben gehört es in dieser Zeit, morgens die Unmengen an Post, die täglich die Berliner Kochstraße 18 erreichen, zu sortieren. Als Aushilfsposteinsortierer muss er allerdings die Briefe, auf denen als Anschrift nur „taz – Berlin – Kochstraße“ steht, öffnen, um zu wissen, welche Redaktion oder Abteilung damit beglückt werden kann. Dabei wird Postsortierer Höge mit einem derartigen Wust von Werbescheiß konfrontiert, dass es nur so seine Bewandtnis hat:
Mit einer „Metro-Post“ für die „Autoren GmbH“ zum Beispiel, in der es unter anderem um die „Hareico Grill-Bratwurst“ geht, für taz-Autoren kosten zehn Stück 4 Euro 20. Passend informiert das deutsche „Kompetenzzentrum für angewandte Mykologie“ die Öko-Redaktion, dass demnächst die „Pilzzeit“ beginnt: „Wir versorgen Sie gerne mit sachkundigen Informationen über alle Aspekte der angewandten Pilzkunde, die Sie dann für Ihre journalistische Tätigkeit nutzen können.“
Ein italienischer Künstler bittet die Kulturredaktion um Würdigung seiner Ausstellung von Porträts „weltberühmter Boxer“, während der Verein Langes Haus Altfriedland bei Wriezen sein 10. Fischerfest veranstaltet und den taz-Gastrokritiker einlädt.
In der Volkswagenzeitung autogramm sagt der Vorsitzende der Markengruppe VW Wolfgang Bernhard: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir es nicht schaffen.“ Das lässt bei den VW-Arbeitern in Emden alle Alarmsignale schrillen: Das VW-System „existiert nicht mehr“, sagt da einer laut Kapitalinfo FAZ und ein anderer: „Mit den Nutten – nun ja“.
Der Stacheldraht, die unermüdliche Zeitung, nein, nicht für Weidebedarf und Einhegungen, sondern „für Freiheit, Recht und Demokratie“, ruft zu einer Kranzniederlegung an der Gedenkstätte Berliner Mauer auf – diese Antikommunisten sind aber auch so was von nachtragend! Ähnlich wie die Vertriebenen, die in ihrem Deutschen Ostdienst für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ ausgerechnet im Vertreibungszentrum Berlin werben.
Die Gaststätte … – Quatsch, „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ gibt eine „Übersicht“ über ihre nächsten Veranstaltungen: „Stauffenberg. Die Stunde der Offiziere, Widerstand zwischen Verfolgung und Terror. Ihr Gewissen war ihr Antrieb“ und so weiter. Wahnsinnig dieser ganze Widerstand, die Nazis waren anscheinend völlig isoliert damals!
Die Deutsche Wanderjugend informiert in ihrem Magazin Walk & More, dass sich 50 Delegierte aus 13 Mitgliedsvereinen und 4 Landesverbänden zu einer „Open-Space-Konferenz“ trafen, mit Video, Konferenztelefon live und der Großgruppenmoderationsmethode für das Topthema: „Wir machen die Wanderjugend stark.“
Auch die DGB-Jugend will laut ihres soli aktuell Newsletters „Themen setzen“. Der Otto-Versand will dagegen dem taz-Büro Aktenordner für 0 Euro 69 das Stück andrehen. Und der Brinkmann-Managemententwicklungs-Dienst lädt zum „Markengipfel 2005“ ein – mit der Begründung: „Wenn sich Märkte wandeln, müssen sich auch die Marken bewegen.“
Ein Hamburger Taxifahrer notiert unter der Überschrift „Unsere Gesetzeshüter im Zwielicht des Bürgers“ einige Fälle, wo Polizisten ihn schofelig behandelt haben. Diese hat er sodann an 83 Presseorgane geschickt. Ein Berliner aus der „2. Generation von aus Polen Eingewanderten, die Deutschland und den Menschen hier KEIN Ungemach oder Probleme bereiten“, begrüßt ausdrücklich „die Anstrengungen des Herrn Beckstein, Gewalt und Terrorismus der Muslime allgemein durch verschiedene Maßnahmen in Deutschland zu mindern“. Umgekehrt beklagt sich der taz-Leser Muhammed al-K. bitterlich darüber, dass ihm nun schon zum zweiten Mal von „irgendwelchen Polen“ sein Auto aufgebrochen wurde. Dazu passt die neueste Presseinformation des Münchner „Redaktionsbüros Schwarz & Sprenger“, in der vor Autodiebstählen und -einbrüchen gewarnt wird.
Der „LVR-Report“ des Landschaftsverbands Rheinland vermeldet über den in den Ruhestand versetzten Kulturdezernenten Schönfeld: „Er hat der Kultur ein Gesicht gegeben.“
Der „offizielle Zeitnehmer“ der Kieler-Woche-Regatten, die Tutima Uhrenfabrik GmbH, schickt uns eine CD, auf der sie für ihre neue „Borduhr DI 300“ wirbt. Und der offizielle Bürgermeister von Berlin, Wowereit, zitiert in seinem Grußwort zum official bread & butter magazine die Organisatoren der Modeveranstaltung mit den Worten: „Berlin is the future“.
Es reicht, es reicht, genug! Das war nur eine kleine Auswahl aus den Postkisten. Als Aushilfsposteinsortierer bei der taz aber weiß man spätestens um zwölf Uhr mittags eins ganz sicher: Der Vernichtung ganzer Wälder für den täglichen Papierschrott sollte dringend Einhalt geboten werden. HELMUT HÖGE