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Als CoronaindieWeltkam

Es war ein knapper Text: „Ein neuer Virustyp soll hinter der mysteriösen Lungenkrankheit in China stecken“: So betitelte vor einem Jahr, am 9. Januar 2020, die Agence France Presse, die älteste internationale Nachrichtenagentur der Welt, eine Meldung aus Peking. Nicht nur AFP, auch andere Nachrichtenagenturen berichteten, dass chinesische Mediziner erstmals den Erreger einer Krankheit, die bislang in Wuhan um sich gegriffen hatte, isoliert und die Gensequenz des Virus freigelegt hatten. Sie stellten große Ähnlichkeiten zu den Viren fest, die die Atemwegserkrankungen Sars (2002 und 2003 in Südchina) und Mers (2012 in Jordanien und Saudi-Arabien) ausgelöst hatten.

Der 9. Januar ist der Tag, an dem der Begriff Corona in die Welt kam.

Den wenigsten Medien aber war die Meldung eine Zeile wert. Bislang zeigten offiziell 58 Menschen Symptome der Krankheit, die heute Covid-19 heißt. Es gibt in der journalistischen Sprache einen Begriff für Meldungen, die zwar ganz interessant sind, aber eigentlich nicht relevant. „Wenn in China ein Sack Reis umfällt...“, sagen altgediente Nachrichtenleute dazu.

Auch im taz-Archiv taucht der Begriff „Coronavirus“ erst 12 Tage später auf. Weil die Staatsführung in Peking an diesem Tag, dem 22. Januar 2020, die Miliionenstadt Wuhan in Isolation steckte. Da ging auch der übrigen Welt auf, die neuartige Krankheit könnte Dimensionen annehmen wie Sars und Mers. Dass sie sich zu einer weltweiten Pandemie würde entwickeln können, das hielten nur wenige Experten für wahrscheinlich.

Heute blickt man mit Staunen auf diesen 9. Januar zurück und auf die Top-Themen, die damals die Welt in Atem hielten. Der Brexit, der an diesem Tag in Megxit umgetauft wurde wegen des Abschieds von Prinz Harry und seiner Frau Meghan vom britischen Königshaus, ist zwar immer noch aktuell. Aber das vielleicht wichtigste Thema jener Tage, die von Donald Trump befohlene Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani am Flughafen von Bagdad, hat man nur noch schemenhaft in Erinnerung. Dabei regierte die Furcht, Teheran könnte mit einem massiven Gegenschlag den Nahen Osten und dann die ganze Welt aus den Angeln heben. Die diplomatischen Drähte glühten Anfang 2020. Was die Welt aus den Angeln hob, wie es sich niemand vorstellen konnte, war aber dann dieser „Sack Reis“ – das Coronavirus.

Es kommt heutzutage selten vor, dass sich Nachrichten langsam um die Welt bewegen, vor allem die Bedeutung, die in ihnen steckt. Die Meldungen über Corona verbreiteten sich Anfang Januar noch langsamer als das Virus selbst, hat man in der Rückschau den Eindruck.

In Zeiten, in denen man den Sturm auf das Kapitol in Washington in Echtzeit in den sozialen Medien verfolgen kann und bei CNN quasi mit dabei ist, vermag es nur die Natur, sich der menschlichen Aufmerksamkeitsökonomie so zuwider zu verhalten, denkt man währenddessen. Dabei kommt einem auch die Klimakatastrophe in den Sinn. Aber das ist nur der erste Gedanke. Der zweite ist eine Frage: Wie hätte der Mensch gehandelt, und hätte er gut gehandelt, hätte er früher auf die Natur gehört? Jörn Kabisch

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