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Keine zweite Meinung im Wald

Das Aus- und Fortbildungs-Institut „Waldwohl“ reglementiert für Niedersachsens Landesforsten die „Waldbaden“-Angebote. Diese Alleinstellung führt auch zu Unmut

Von Harff-Peter Schönherr

Waldwohl. Hört sich ja erst mal idyllisch an. Nach etwas, das gut ist für den Wald, etwas, das von ihm ausgeht. Ein stimmiger Begriff, wenn man sich, wie Birte Schmetjen, mit „Waldbaden“ beschäftigt: Gesundheitsprävention durch entschleunigende Spaziergänge im Duft von Harz und Moos, durch Yoga und Tai-Chi, Meditationen und Atemübungen zwischen Gebüsch und Bäumen. Gut gegen Herzerkrankungen und Schlafstörungen, gegen Burn-out, Depressionen, Stress und Krebs. Ein Trend, der seinen Ursprung im Japan der frühen 1980er hat.

Birte Schmetjen ist Exklusivpartnerin der Niedersächsischen Landesforsten (NLF). Ihr privatwirtschaftliches Aus- und Fortbildungs-Institut „Waldwohl“ in Deinste im Landkreis Stade zertifiziert Waldgesundheits-Trainer und -Therapeuten. Die dürfen dann auf den 330.000 Hektar der NLF – das ist rund ein Drittel der Waldfläche Niedersachsens – kommerziell Kurse anbieten.

Forstwissenschaftlerin und Waldpädagogin Schmetjen hat „Waldwohl“ Anfang 2020 gegründet. Jüngst wurden die ersten zehn Waldgesundheits-Trainer qualifiziert, im Januar und Februar folgen weitere. Ihnen allen soll „Begeisterung für das Medium Wald“ vermittelt werden: Es gehe um „WALDWOHLfühlmomente“, sagt die Website. Wie stark der Trend ist, lässt sich auch an Schmetjens Warteliste ablesen: „Wir haben derzeit mehr Bewerber als Plätze.“

„Waldwohl“ solle „sicherstellen, dass die Angebote landesweit qualitativ hochwertig sind“, sagt sie. Zudem lässt sich so die Zahl der Anbieter regulieren: „Die Landesforsten wissen am besten, was die Fläche braucht – und was sie verträgt.“

Jeder Kurs ist auch für Schmetjen selbst Quelle neuer Erkenntnis. „Ich lerne in unseren Kursen immer wieder Neues hinzu, es kommen ja sehr unterschiedliche Menschen zu uns, mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten, das ergibt ein wunderbar buntes Netzwerk.“ Psychotherapeuten sind dabei, Heilpraktiker, Yogalehrer.

Monopol unter Bäumen

So weit, so idyllisch. Aber es gibt Schattenseiten. „Der Waldbesitzer“, erklärt Schmetjen ihr Tun, wolle „eine Lenkung schaffen“. Ein brisanter Begriff: Zwar hat jeder das freie „Betretungsrecht“ zum Wald, zum Zweck der Erholung im Prinzip überall und rund um die Uhr, das besagt Paragraf 14 des Bundeswaldgesetzes. Aber wer kommerziell unterwegs ist, braucht eine „Gestattung“. Und die ist für die Flächen der NLF seit Anfang 2021 ausschließlich durch „Waldwohl“ zu bekommen. Alle Anbieter, die Schmetjen nicht zertifiziert – durch Präsenz- und Onlineunterricht sowie die Anrechnung nicht bei „Waldwohl“ erworbener Qualifikationen – sind also aus dem Rennen.

Für alle übrigen kommerziellen Angebote auf den Flächen der NLF, vom Pilz- bis zum Geologiekurs, gilt im Prinzip dasselbe, und das schon seit zehn Jahren. Wer dafür kein „Waldpädagogik“-Zertifikat hat, von den Landesforsten, nicht auf Vermittlung oder im Auftrag der NLF unterwegs ist, muss draußen bleiben. „Waldwohl“ entwickle sich „parallel und aufbauend dazu“, sagt Schmetjen.

Mehr noch: Das „Waldwohl“-Programm ist „auf die Wünsche und Bedürfnisse des Waldbesitzers abgestimmt“. Was das bedeutet? Dieter Plaßmeyer aus Osnabrück hat eine Vermutung. Er ist „Waldbademeister“ und hat so viele Zertifikate, dass er bei „Waldwohl“ vermutlich sofort als Ausbilder anfangen könnte. Es sei „überhaupt keine gute Entwicklung“, sagt er, dass da „eine Struktur entsteht“, die vermutlich nicht zuletzt „die Politik“ desjenigen befördern solle, dem der Wald gehöre.

„Waldwohl“ ist Plaßmeyer bekannt: Er habe mit Schmetjen „ein langes Gespräch geführt, um auszuloten, wie sie meine Ausbildung beurteilt, habe alle meine Zertifikate hingeschickt. Sie sagte, man werde das prüfen. Mal sehen, was dabei rauskommt.“ Er arbeitet bisher nicht auf NLF-Flächen, sondern in Privatwald. Aber den Versuch, durch „Waldwohl“ eine Elite mit Zertifizierung zu schaffen, und Outcasts ohne, kann er „absolut nicht verstehen“.

Den NLF geht es nicht nur um Qualität. Weil viele ihrer Baumbestände nicht gegen die Klimakrise gewappnet sind, anfällig sind für Sturmschäden, Sommerdürren und Borkenkäferbefall, entstehen Verluste – neue Geschäftsfelder müssen her. „Mancherorts liegt der Wert der Erholungs- und Freizeiteigenschaften eines Waldes viel höher als sein Wert als forstwirtschaftliche Produktionsfläche“, heißt es unter „Chancen“ im NLF-Geschäftsbericht 2019. Ein Markt, auf dem „Waldwohl“ jetzt ein großer Player ist.

Öko-Reformer und Autor Peter Wohlleben, dessen „Waldakademie“ in Wershofen auch Waldbaden-Kurse anbietet, schüttelt den Kopf über die „Nebelgranaten“ der NLF: Er sieht darin „Zeichen der Angst“, denn die klassische Forstwirtschaft sei gescheitert: „Vielerorts leiden die Wälder so sehr unter ihr, dass es dir die Tränen in die Augen treibt, und jetzt zeigt sich, dass es so nicht weitergeht. Da sucht man nicht nur nach neuen Einnahmequellen. Man wird dünnhäutig.“

Die Zertifizierungen der NLF erklärt er sich unter anderem als „Versuch, keine zweite Meinung auf den eigenen Flächen zuzulassen. So hält man sich Kritiker vom Hals.“ Künstliche Anbieterverknappung, gerade in Zeiten steigender Verbundenheit mit der heimischen Natur, sei der falsche Weg. Dass sich die NLF jetzt als Garant eines achtsamen Waldumgangs gibt, wundert Wohlleben: „Das ist, als ob ein Großschlachter wie Tönnies plötzlich einen Streichelzoo aufmacht!“

Keine Waldpolizei

„Das alles hat Irritationen hervorgerufen, Verärgerung“, räumt Rainer Städing ein, regionaler Sprecher der NLF. Es gebe aber immer auch „Grauzonen“ und „Ausnahmen“, und die NLF würden „ganz bestimmt nicht die Waldpolizei spielen und Leute aus dem Wald rausschmeißen“.

Das sagt auch Philipp Verpoorten, Abteilung Personal und Recht, Sachgebiet Erholung, Walderlebnis & Waldpädagogik bei den NLF Braunschweig: Zu „abgeschlossenen Verträgen“ stehe man, das gelte auch für „bestehende Gestattungsverträge“. Unzertifizierte, die bereits länger auf NLF-Land tätig sind, haben also Glück.

Dass die NLF Kritiker mundtot machen wollten, bestreitet Verpoorten: „An einer kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen ist uns gelegen.“ Aber es gelte, „Doppelarbeiten zu vermeiden und Synergien zu nutzen“. Auch eine „räumliche oder zeitliche Konzentration dieser Angebote“ bezeichnet er als sinnvoll.

www.waldwohl.de

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