wortwechsel
: Privilegien für Geimpfte fördern Entsolidarisierung

Leser:innen glauben, dass Sonderrechte für Geimpfte das Miteinander stören. Ist Annalena Baerbock reif fürs Kanzleramt? Deutschland wächst aus den Schulden raus, oder?

Kleiner Piks, große Wirkung Foto: Ronny Hartmann/reuters

Falsche Sicherheit

„Grund- keine Sonderrechte“,

taz vom 30. 12. 20

Eine binäre/unterkomplexe Sicht des Problems: „Geimpfte können infizieren/nicht infizieren.“ Dabei hat selbst der bisher effektivste Impfstoff nur eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Klingt gut. Das bedeutet aber bei 50 Millionen zu Impfenden, dass sich 2,5 Millionen Personen nach der Impfung in falscher Sicherheit wiegen. Bisher ist es unbekannt, warum der Impfstoff bei 5 Prozent nicht anschlägt. Es könnte sich am Ende herausstellen, dass die Impfstoffe sehr unterschiedliche Effekte haben werden: alle Abstufungen zwischen „Bringt nix“ und „Das Immunsystem hindert das Virus an jeglicher Vermehrung“. Deshalb wäre „Impfen lassen und danach die Maske runter“ ein gefährlicher Denkansatz.

Thomas Damrau, Böblingen

Aufbruch

„Solidaritätskollaps“, taz vom 30. 12. 20

„Empört euch“, überschrieb Stéphane Hessel seinen Essay im Jahre 2010, der alles zusammenfasste, was eine neoliberal verseuchte Politik an Elend, Gewalt und Unrecht anrichtet. Jetzt, zehn Jahre später, zeigt Jagoda Marinics Beitrag auf, dass die hohe Auflage von Hessels Streitschrift nicht nur den inhumanen, moralisch längst verkommenen politisch-ökonomischen Eliten keinen Einhalt geboten hat, sondern diese die demokratischen Grundlagen des Zusammenlebens in den Bankrott getrieben haben.

„Jedes Menschenleben zählt“ war schon immer eine bauernfängerische Phrase, in der die armen, elenden, ausgegrenzten und aus dem „Wir“ hinausdefinierten Lebewesen nicht enthalten waren: die in Lipa und den vielen anderen Orten des Massenmords im Namen der Menschenrechte, die in Europa im armen Süden, die in Deutschland auf der Straße oder unter körperlich und psychisch zerstörerischen prekären Bedingungen Lebenden.

Wenn nur die Hälfte der taz-LeserInnen Marinics Worte ernst nehmen, sich ihnen empathisch nähern würde, müsste nicht nur ein Aufschrei durch dieses Land gehen, sie müssten wortwörtlich aufbrechen gegen die gesellschaftlichen Strukturen, von denen einige mithilfe ausufernder Gewalt gegen die vielen anderen profitieren. Günter Rexilius, Mönchengladbach

Keine Lockerung

„Grund- keine Sonderrechte“,

taz vom 30. 12. 20

Sollte es eine politische Entscheidung für eine Beschränkungsaufhebung für geimpfte Personen geben, dann wäre eine spontane und heftige Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft unausweichlich. Und dann würden viel mehr Personen versuchen, über Beziehungen in eine der Nichtaltersgruppen der drei Stufen der Priorisierung enthaltenden Bevölkerungsgruppen zu kommen, wie zum Beispiel die mit „beruflicher Indikation.“

Nein, es darf auf keinen Fall eine Aufweichung der Einschränkungen für geimpfte Personen geben. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung wäre in meinen Augen ein elementarer Verstoß gegen unsere Grundrechte. Ganz zu schweigen davon, dass die Einschränkungen für ungeimpfte Personen im täglichen Leben nicht mehr kontrollierbar wären. Keine Lockerung für geimpfte Personen, sondern Solidarität aller bis zur Aufhebung der Einschränkungen! Also müssen wir da gemeinsam durch.

Carlo Schmidt, Stuttgart

Anlegerrisiko

„Bürgschaft für TUI?“, taz vom 30. 12. 20

Selbst die niedersächsische FDP spricht von einem „unverantwortlichen Risiko“. Und wenn die CDU jetzt mitleidig davon spricht, dass dem stationären Vertrieb ein Standbein fehlen würde, übersieht sie, dass es nach TUI wieder ganz viele neue Initiativen und Start-up-Chancen geben dürfte und damit viel bessere Möglichkeiten, den besonderen Ansprüchen der Klientel gerecht zu werden.

Was verdient eigentlich so ein Ministerpräsident im Aufsichtsrat? Bekommt er auch Schläge, wenn das Unternehmen einmal scheitert? Anders als bei einem Sterbenden ist es möglich, dass Unternehmensteile unter neuem Management wiederbelebt werden können, wenn man den (großen!) unproduktiven Rest einfach entsorgt. Anleger müssten das Risiko kennen und es auch einmal ohne Staatshilfe spüren lernen. Dietmar Rauter, Kronshagen

Gut genug?

„Diejenige mit mehr Substanz“,

taz vom 28. 12. 20

Es stellt sich doch hier die Frage, welche Qualität im Wissen und in der Erfahrung ein/e Kanzler/in mitbringen muss, um Deutschland in den wesentlichen Fragen zu vertreten. Solange in der Batterie für Frau Baerbock „Kobold“ enthalten ist oder die Energie einfach im „Netz“ gespeichert wird, ist es für mich und für viele andere auch schwer vorstellbar, dass Frau Baerbock die notwendigen Qualitäten mitbringt. Ich denke, dass sie insbesondere durch die völlige Ideologisierung ihrer Person, als „Gutmensch“ das Klima zu retten, nicht den Anspruch erheben kann, Kanzlerin zu werden. Dies ist deutlich zu wenig für dieses komplexe und vielseitige Amt in Deutschland.

Joachim Vögele, Dresden

Blazerfarbe ist unwichtig

„Diejenige mit mehr Substanz“,

taz vom 28. 12. 20

Da ist also die Blazerfarbe erwähnenswert, ob Frau Baerbock kanzleringeeignet sei? Für mich ist die Farbe nicht Grün, sondern zwischen Türkis und Eisblau. Verglichen mit Männern müssten CDUler Schwarz tragen, AfDler Braun, SPD Rot, FDP Gelb, damit schon mal die Farbe stimmt. Kurios im Jahr 2020, oder?

Regine Heine, Dettenheim

Qual der Wahl

„Auf die Spritzen, fertig, los!“,

taz vom 28. 12. 20

Der Gesetzgeber ist beim Erlassen von Ver- und Geboten sehr gut im Geschäft, gleichzeitig muss er das Einhalten dieser Maßnahmen mit einem ausgeklügelten Kontrollsystem dauerüberwachen. Eine „staatliche“ Impfpflicht (auch so eine Art von „Ge-/Verbot“) soll es vorerst nicht geben, entweder jeder macht beim Impfen freiwillig oder eben unfreiwillig mit: „freiwillige Unfreiwilligkeit“ vs. „unfreiwillige Freiwilligkeit“.

Die Qual der Wahl, die bleibt wohl wieder dem Einzelnen überlassen, eine Wahl zwischen Pest und Cholera!

Ulrike Schwarz, Büchenbach

Wachstumszwang

„Loblied auf die Schulden“,

taz vom 31. 12. 20

Ulrike Herrmann singt ein Loblied auf die Schulden und hofft, dass sie bedeutungslos werden, indem die Wirtschaft wieder wächst. Nach Corona werden wir aus den Schulden herauswachsen. Geld regiert die Welt – und (fast) alle schauen weiterhin zu. Entwicklungen früher erkennen hat bei einem entscheidenden Problem des Kapitalismus bisher überhaupt nicht funktioniert: bei den „Grenzen des Wachstums“. Die zu Ende gehende Senkung der Mehrwertsteuer für alle zeigt, dass man nicht bereit ist, für die Ärmeren mehr zu tun. Das Durchreichen der ab Januar steigenden Energiekosten geschieht in vergleichbarer Weise, weil die Ärmeren stärker belastet werden. Ein Lieferkettengesetz, welches den Welthandel sozialer und ökologischer machen soll, wird abgelehnt. Importgüter könnten ja teurer werden, heißt: Wettbewerbsnachteil. Maßnahmen zur längst überfälligen Umverteilung von oben nach unten werden rigoros abgelehnt.

Für all diese Entscheidungen steht eine Partei, die immer noch die meisten Stimmen bekommt. „Wachstum und Arbeitsplätze“: bis heute ein unverzichtbarer Textbaustein derjenigen, die vorgeben, etwas von „Wirtschaft“ zu verstehen! Aber verstehen sie auch was von Zukunft? Wann endlich diskutieren wir ebenso energisch über eine Welt ohne Wachstumszwang? Dieter Stompe, Erfurt