piwik no script img

Archiv-Artikel

Meister der vergebenen Chancen

2. BUNDESLIGA Union Berlin bezwingt den Tabellenvorletzten Ahlen mit 2:1. Die Köpenicker verpassen allerdings zahlreiche hochkarätige Möglichkeiten und verlieren die Tabellenführung an Kaiserslautern

Anzeige angedroht

■ Ex-Hauptsponsor ISP hat Union Berlin mit einer Strafanzeige gedroht. ISP-Geschäftsführer Dieter Fietz will vor Gericht ziehen, wenn Union-Präsident Dirk Zingler seine Behauptung nicht zurücknehme, dass er ihm am 2. und 15. August persönlich Mahnungen und Fristsetzungen während der Heimspiele gegen Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf überreicht hätte. Fietz begründete die Zahlungsrückstände seiner Firma – geflossen waren am 15. Juli nur 100.000 statt wie vereinbart 1 Million Euro – damit, dass der Erwerb von 50 Prozent der Anteile an der Stadion-Betreibergesellschaft nicht vollzogen werden konnte. (dpa)

Aufsteiger 1. FC Union Berlin bleibt auf Erfolgskurs, hat aber die Tabellenführung in der Zweiten Fußball-Bundesliga verloren. Der weiterhin ungeschlagene Neuling gewann am Freitag daheim 2:1 (2:1) gegen Rot Weiss Ahlen. Nach der schnellen Führung des Tabellenvorletzten durch Marcel Reichwein (5.) drehten Torsten Mattuschka (24.) und Karim Benyamina (42.) das Ergebnis noch vor der Pause und sorgten für den vierten Heimsieg im vierten Spiel.

Doch ausgerechnet vor diesem zweitniedrigsten Hindernis in der Zweiten Fußball-Bundesliga hatte Spitzenreiter Union ungewohnte Scheu gezeigt. Die Eisernen redeten den Tabellenvorletzten Rot Weiss Ahlen vor der Freitag-Partie derart stark, als erwarteten sie einen Giganten wie den FC Barcelona. „Wir dürfen Ahlen nicht am Tabellenstand messen“, warnte Trainer Uwe Neuhaus, der seiner Mannschaft zur Respektschulung ein Video mit starken Spielszenen der Westfalen vorführte.

Der Director’s Cut schien seine Wirkung nicht zu verfehlen, obwohl Ironiker witzelten, bei dem beeindruckenden Streifen müsse es sich um veraltetes Archivmaterial handeln: In der aktuellen Saison agierte Rot Weiss ähnlich gefährlich wie ein Marienkäfer. Nur ein kümmerliches Pünktchen hatten die Gäste auf der Reise nach Berlin im Gepäck. Dennoch glaubte Union-Verteidiger Patrick Kohlmann den Kassandra-Rufen seines Trainers: „Das wird ein ekeliges Spiel!“

Wurde es nicht. Doch zufrieden schienen die meisten der 12.212 Zuschauer im Stadion Alte Försterei nicht drein. Was weniger am Wetter – das war ideal – oder an der Atmosphäre in dem „Löwenkäfig“ an der Wuhlheide – war wie immer prickelnd – lag als an dem Besuch aus dem Tabellenkeller. Die Ahlener stürmten los und wirbelten, als wären sie Neuhaus’ Agitprop-Film entsprungen. Marcel Reichwein erzielte in der 5. Minute Ahlens Führungstreffer. Sein Sturmkollege Thomas Bröker scheiterte an der glänzenden Reaktion von Berlins Torhüter Jan Glinker.

Das war’s dann aber auch schon aus der Sicht von Andreas Zimmermann, dem gebürtigen Berliner auf Ahlens Trainerbank. Der einstige Verteidiger der legendären „Hertha-Bubis“, die 1993 bis ins Finale des DFB-Pokals stürmten, musste ertragen, wie vor allem Unions Mittelfeldakteur Torsten Mattuschka die Geschicke zugunsten des Gastgebers wendete. In der 24. Minute schloss der famose „Tusche“ eine gelungene Kombination mit einem fulminanten Schuss zum 1:1-Ausgleich ab.

Für die in der noch jungen Spielzeit durch drei Heimsiege verwöhnten Union-Fans war das hörbar die halbe Miete auf dem Weg zum nächsten Triumph. Sie besangen ihre Mannschaft und lobpriesen ihren Klub im „Ballhaus des Ostens“ in Köpenick. Neue Zuschauer in der Alten Försterei heben inzwischen positiv hervor, wie musikalisch und textsicher die Eisernen-Anhänger seien. Die Partitur für den stimmlichen Höhenflug gegen Ahlen lieferte auch der Vertragsabschluss der Clubleitung mit der Firma „kfzteile24“, die als Hauptsponsor eingesprungen ist, nachdem sich Union vom alten Geldgeber „ISP“ wegen der Stasivergangenheit eines Repräsentanten getrennt hatte. Weil der neue Partner nicht annähernd so viel Geld in Aussicht stellte wie „ISP“, reduzierte Union den laufenden Etat um 700.000 Euro auf 11,5 Millionen.

„Das dritte Tor hätte fallen müssen“

UNION-TRAINER NEUHAUS

So wartete man am Freitag darauf, bis die ersten Spieler in den Jubel-Chor von den Rängen einstimmten. Doch die Helden in kurzen Hosen hatten Wichtigeres zu tun. So trug sich Stürmer Karim Benyamina nach 42 Minuten in die Vereinsannalen ein. Sein Treffer zum 2:1 war sein 78. persönliches Erfolgserlebnis in einem Union-Pflichtspiel. Kein anderer Unioner hat mehr Tore erzielt als der in Dresden geborene Spross einer Deutschen und eines Algeriers.

Weitere Jubelattacken gönnten die Spieler ihren Fans jedoch nicht, vielmehr dürfte bei dem einen oder anderen Anhänger das Toupet verrutscht sein ob des Haareraufens nach verpassten Großchancen. Kenan Sahin brachte in der Nachspielzeit sogar das Kunststück fertig, Ahlens Torwart Sascha Kirchstein zu umkurven, um dem auf die Torlinie gestürmten Verteidiger Michael Wiemann ans Schienbein zu schießen. Auch deshalb musste Union tags darauf die Tabellenführung an den punktgleichen 1. FC Kaiserslautern abgeben, der Karlsruhe 2:0 bezwang. „Wir machen uns das Leben schwer. Das dritte Tor hätte fallen müssen“, grantelte Union-Trainer Neuhaus nach dem Schlusspfiff. JÜRGEN SCHULZ