Frauenquote

Es war der genderpolitische Überraschungscoup in dieser Pandemiesaison: In Vorständen großer privater und öffentlicher Unternehmen in Deutschland müssen künftig Frauen sitzen. Darauf hatte sich eine Arbeitsgruppe der Großen Koalition Ende November geeinigt. Und so steht es in dem entsprechenden Gesetzentwurf, den die beiden SPD-Ministerinnen Franziska Giffey (Frauen und Familie) und Christine Lambrecht (Justiz) erarbeitet haben.

Damit gilt zum ersten Mal in Deutschland eine gesetzliche Frauenquote für Vorstände. Danach muss in dem Spitzengremium börsennotierter Unternehmen mit paritätischer Mitbestimmung künftig mindestens eine Frau sitzen, wenn es mehr als drei Mitglieder hat. Für Unternehmen in Bundesbesitz gilt diese Vorgabe bereits, wenn der Vorstand mehr als zwei Mitglieder hat.

Giffey und Lambrecht setzen hiermit um, was Lobbyverbände und Frauenorganisationen seit Jahren fordern – und was für Aufsichtsräte in großen Unternehmen so ähnlich bereits seit 2016 gilt: Mindestens 30 Prozent der Mitglieder dieser Kontrollgremien müssen weiblich sein. Unternehmen, die diese Vorgabe nicht erfüllen, werden sanktioniert: Der Platz, der für eine Frau vorgesehen ist, aber nicht mit einer Frau besetzt wird, muss frei bleiben. Das zeigte Wirkung: Der Frauenanteil an der Spitze der Top-200-Unternehmen erhöhte sich von 18 Prozent 2015 auf aktuell 28 Prozent.

Bei den Vorständen sieht die Bilanz weiblicher Teilhabe schlechter aus. Dort sind derzeit lediglich 13 Prozent Frauen, wie die gemeinnützige All­bright Stiftung herausgefunden hat. Bei den DAX-Konzernen waren es dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge sogar nur 10 Prozent. Bei der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen, dem Baustoffkonzern HeidelbergCement und dem Triebwerkhersteller MTU Aero Engines sind die Vorstände nach wie vor reine Männerzirkel.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin und frühere Forschungsdirektorin für Genderökonomie am DIW Elke Holst spricht daher gern vom „Ritt auf der Schnecke“. Das mache eine gesetzliche Vorgabe dringend nötig, erklärt nun Familienministerin Giffey: „Weil sich freiwillig nichts tut.“ Vor zehn Jahren hatte die quotenkritische Wirtschaft zugesagt, mit einer sogenannten Selbstregulierung für mehr Frauen in Führungspositionen sorgen zu wollen. Unterstützt wurde sie dabei von der CDU, die Quoten ebenfalls skeptisch gegenübersteht. Gute Unternehmensführung ließe sich nicht per Gesetz verordnen, hieß es damals. Bis heute argumentiert die Wirtschaftslobby unter anderem damit, dass die Unternehmensfreiheit eingeschränkt werde, wenn Spitzenpositionen nach Geschlecht und nicht nach Qualifikation besetzt werden müssten.

Untersuchungen indes zeigen, dass Firmen bessere Ergebnisse erzielen, wenn ihre Führungsgremien weiblicher und diverser sind. So fand eine internationale Studie des US-amerikanischen Peterson Institute 2016 heraus, dass ein 30 Prozent höherer Frauenanteil an der Firmenspitze den Nettoumsatz um gut 15 Prozent steigert. Die Leadership-Studie 2019 der weltweit agierenden Beratungsfirma Zenger-Folkman bescheinigt Frauen deutlich mehr Führungskompetenzen als Männern. Danach ergreifen Frauen häufiger als Männer die Initiative, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Dabei seien sie ehrlicher und ergebnisorientierter und könnten andere stärker motivieren sowie integrativ wirken.

Der Quote wird noch ein weiterer Effekt zugesprochen: Frauen fördern Frauen. Und das auf zweierlei Weise, wie eine Untersuchung der Norwegian School of Economics gezeigt hat. Danach setzen sich weibliche Führungskräfte aktiver für Frauen auch auf unteren Ebenen ein. Gleichzeitig würden Frauen durch die Vorbildfunktion stärker animiert, selbst eine Führungsposition zu übernehmen.

Und doch wird die Quote für Vorstände, so wie sie jetzt in Deutschland vorgesehen ist, selbst von Frauenverbänden und Lobbygruppen kritisiert. Das sei ein Instrument für weibliche Eliten, Frauen unterhalb der Führungsebene und in Jobs, die von vornherein keine Aufstiegschancen bieten, würden von der Quote missachtet, heißt es unter anderem.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. So empfindet die Betriebswirtin Henrike von Platen die Quote als „wunderbaren Meilenstein, aber nicht als Lösung aller Gleichstellungsprobleme“. Die Ex-Präsidentin des interna­tio­na­len Frauennetzwerks Professional Business Women hatte die Quote in den Aufsichtsräten mit durchgesetzt. Jetzt gelte es, grundsätzlich die Strukturen zu ändern, „die dazu führen, dass es so wenig Frauen gibt, die es an die Spitze schaffen“.

Auch Monika Schulz-Strelow, Präsidentin von FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte) und damit federführend bei der Implementierung der Quote in den Kontrollgremien, erkennt in der Vorstandsquote einen „Bestandsschutz für die männlichen Vorstände in den quotenrelevanten Unternehmen“. Damit meint die Unternehmensberaterin, dass sich bei knapp der Hälfte der Firmen, für die die Vorstandsquote künftig gilt, in den kommenden Jahren nichts ändern dürfte. Ohnehin sind nur 73 große Unternehmen von der Regel betroffen, bei 32 von ihnen findet sich derzeit keine einzige Frau im Vorstand. Die nächsten Vorstandswahlen finden in den Unternehmen erst ab 2022 statt, bis dahin bleibt also alles beim Alten. Schulz-Strelow bezeichnet diese 32 Unternehmen als „Pilotgruppe“ – und rechnet damit, dass noch in diesem Jahr „sehr viele vorzeitige Verlängerungen von Vorstandsverträgen erfolgen, um die Neubesetzungsvorschrift ab 2022 zu unterlaufen“.

Simone Schmollack

Simone Schmollack leitet das Regie-Ressort der taz.

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