Die okkulte Stimme als Partitur

KUNST Die Ausstellung „Sprache/Language“ zeigt Exponate, die humorvolle und tiefgründige Verbindungen zwischen Text und bildender Kunst herstellen

Von weitem sieht die „Kritik der reinen Vernunft“ aus wie ein Muster, von nahem kann man nur noch Fragmente erkennen

VON RADEK KROLCZYK

Alljährlich vergibt eine Organisation mit dem dubiosen Namen „Kulturkreis der deutschen Wirtschaft“ den Kunstpreis Ars Viva. Die Ausschreibung ist ambitioniert, das Auswahlverfahren langwierig, der Preis begehrt: Neben einem Preisgeld erwarten den Gewinner Ausstellungen im In- und Ausland sowie ein Katalog und eine Künstleredition. Die Ausschreibung richtet sich an jüngere, in Deutschland lebende Künstler, ein Thema wird vorgegeben. Georg Baselitz, Albert Oehlen und Candida Höfer wurden, als sie noch jung waren, mit diesem Preis ausgezeichnet.

Die Arbeiten der diesjährigen Preisträger Erik Bünger, Philipp Goldbach und Juergen Staack sind nach Essen und Riga nun in Bremen zu sehen. Das diesjährige Thema: Sprache.

Tatsächlich ist die Verbindung von Sprache, dem geschriebenen oder gesprochenen Wort, und bildender Kunst noch gar nicht so alt. Noch vor hundert Jahren meinten die Figuren, die in den bürgerlichen Ausstellungshäusern standen und hingen, das, was sie darstellten, nicht mehr und nicht weniger.

Eine reflexive Ebene brachten erst die klassischen Avantgarden mittels der Sprache in die bildende Kunst. Picasso und Braque klebten Zeitungsausschnitte in ihre Bilder und stellten so eine Vermittlung her zwischen der heiligen Kunst im Museum und der profanen Welt da draußen. René Magritte malte seine berühmte Pfeife, um sie gleich wieder in Frage zu stellen: „Ceci n’est pas une pipe“. Kurt Schwitters intonierte öffentlich seine „Ur-Sonate“, ein Sprachstück, das nur aus Lauten bestand.

Seit der Konzeptkunst der siebziger Jahre ist Sprache innerhalb der bildenden Kunst unabhängig. Von Lawrence Weiner stammt der Satz an der zur Weser hin zeigenden Seite der Außenmauer der Weserburg: „Auf Sand gebaut tatsächlich (aus) auf anderem Grund“. Der Satz als ausformulierter Gedanke ist hier bereits das Kunstwerk und bedarf selbst keiner Materialität, gleichzeitig reflektiert er die Umgebung, in die er gesetzt wurde: Was hat es zu bedeuten, dass das Museum auf Sand gebaut ist?

In dieser Tradition stehen auch Bünger, Goldbach und Staack. Ihre Arbeiten sind reflexiv und stellen eher Fragen, als dass sie Antworten geben würden.

Im Eingangsbereich hat Jürgen Staack eine alte amerikanische Telefonzelle platziert. Ein Schild listet Nummern öffentlicher Fernsprechgeräte in Cannes, Costa Rica, Sao Paulo, London, Shanghai und New York. Der Apparat wird mit Jetons betrieben, alle anderen Nummern sind gesperrt. Der Besucher wird hier in die Lage versetzt, eine unvorhersehbare Situation herzustellen. Man wählt eine Nummer und irgendwo in London klingelt es auf offener Straße. Man fragt sich: Wo steht der andere Apparat? Hört jemand das Klingeln? Kann man jemanden erreichen? Und: Sollte man jemanden erreichen, was sagt man dann?

Erik Bünger interessiert sich für Aufnahmen von Stimmen. Den 70er-Jahre-Disco-Hit „That’s the way (I like it)“ hat er in kleine Fragmente zerteilt und sie in einer anderen Ordnung von einer Band aufführen lassen. „Es hört sich an wie Stottern, ist aber im Grunde eine Neukomposition“, bemerkt Peter Friese, Kurator der Ausstellung.

In einem Archiv fand Bünger Aufnahmen von 1942, auf denen eine Mann wie vom Teufel besessen wirr, in Zungen, nicht in einer tatsächlichen Sprache, einen ekstatischen Singsang von sich gibt. Bünger überführt diese Irrationalität in ein vernünftiges System, indem er es auf Notenblätter überträgt. Mit den Notenblättern vor den Augen hört man die okkulte Stimme, als sei sie eine Partitur.

Philipp Goldbachs Schwerpunkt ist Sprache als Übermittlerin von Wissen und Geschichte. Auf riesigen Leinwänden hat er in kleiner Schrift mit Bleistift die großen Werke der Aufklärung übertragen. Das Schriftwerk wird zu einem Bild, das nur noch den Namen beibehält. Von weitem sieht die „Kritik der reinen Vernunft“ aus, als sei sie ein Muster, von nahem kann man nur Fragmente davon erkennen. Für den Erkenntnisgewinn ist sie unbrauchbar. „Man kann es als Hinterfragung des philosophischen Klassikers verstehen“, so Friese.

Mit „Sprache/Language“ hat sich die Weserburg eine besondere Ausstellung ins Haus geholt: philosophisch tiefgründig, sinnlich und humorvoll.

■ bis 6.1.2013, Weserburg