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Lübeck setzt aufs Heimkino

Auch die 62. Nordischen Filmtage müssen kurzfristig alle physischen Vorstellungen absagen

Von Wilfried Hippen

Ein schlimmeres Timing ist kaum denkbar. Ausgerechnet in der Woche, für die sich bundesweit neue, drastische Kontaktbeschränkungen zur Coronabekämpfung abzeichnen, beginnen die 62. Nordischen Filmtage. Geplant war, 160 Filme in den Lübecker Festivalkinos zu zeigen, daneben möglichst viele auch online zu streamen. Man hatte also auf das Hybridformat gesetzt, wie es sich im Sommer bewährt zu haben schien: Die Festivals in Hamburg und Oldenburg etwa zeigten Filme sowohl in den Kinos wie auch online. Abgesehen von den insgesamt geringeren Besucher*innenzahlen lief das ganz gut; in Hamburg wurden immerhin noch mehr als 13.000 „echte“ Kinotickets verkauft, während nur knapp 2.500 User*innen das Onlineangebot nutzten.

Wie in vielen anderen Städten hat sich die Situation auch in Lübeck in der Zwischenzeit dramatisch verändert. Über das Wochenende stieg die Zahl der aktuell an Covid-19-Erkrankten dort auf 102, die Inzidenz hat inzwischen einen Wert von über 50 erreicht. Seit einigen Tagen herrscht nun Maskenpflicht auf der Lübecker Altstadtinsel, die Weihnachtsmärkte wurden abgesagt – und neben allen anderen Live-Veranstaltungen sind auch sämtliche Kinovorstellungen untersagt.

So wurden am Dienstag nun auch die Nordischen Filmtage in der geplanten Form abgesagt. „Angesichts der dramatischen Entwicklungen ist diese Entscheidung der Hansestadt Lübeck alternativlos“, schrieb Geschäftsführerin Susanne Kasimir in einer Pressemitteilung. „Doch wir sind vorbereitet und gut aufgestellt, werden zusätzlich für etwas ‚Festival-Feeling‘ sorgen und Impressionen, Wissenswertes rund um die Filme und Hintergrundinformationen in Interviews digital einfangen und online senden.“ Das heißt konkret: Von den 160 Filmen im Programm können nun knapp 140 online auf nordische-filmtage.culturebase.org angesehen werden; das kostet jeweils 7 Euro. Freigeschaltet werden sie am Mittwoch, 4. November, und sind dann bis zum 8. November abrufbar.

Hinfällig ist damit die vorgesehene Dramaturgie des Festivals, denn man kann nun kaum noch von einem Eröffnungsfilm sprechen. Dabei war die Terminierung nicht ohne Witz: Einen Tag nach der Wahl des US-Präsidenten – dahingestellt, ob deren Ausgang dann bekannt sein wird – sollte das Festival mit dem dänischen Spielfilm „Unser Mann in Amerika“ beginnen. Christina Rosendahl erzählt darin die wahre Geschichte von Henrik Kauffmann, der 1940 dänischer Botschafter in Washington war. Zu dieser Zeit war sein Heimatland von den Deutschen besetzt, doch er erklärte sich zum Vertreter eines freien Dänemarks und betrieb eine eigene Anti-Nazi-Außenpolitik. So schloss er einen Vertrag mit den USA, der dazu führte, dass auf Grönland amerikanische Militäranlagen aufgebaut werden durften. Den dänischen Nationalhelden spielt Ulrich Thomsen, durch seine Rolle als russischer Schurke im James-Bond-Film „Die Welt ist nicht genug“ auch international bekannt.

Besonders bitter ist die jüngste Entwicklung wohl für Linde Fröhlich, die Ende des Jahres die künstlerische Leitung der Nordischen Filmtage an Thomas Hailer abgibt, ehemaliger Leiter der Berlinale-Sektion. Fröhlich, im Amt seit 2001, hatte schon 2019 in Rente gehen wollen. Nachdem sie dazu gedrängt wurde, machte sie doch weiter – und hört nun mit dieser Notausgabe auf.

62. Nordische Filmtage: 4. bis 8. 11.;

www.nordische-filmtage.de

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