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Schulden trotz Bremse

Trotz Schuldenbremse darf Bremen neue Kredite aufnehmen – aber nicht für vor der Coronakrise geplante Investitionen, so der Finanzexperte Stefan Korioth

Von Klaus Wolschner

Ausgerechnet seit dem Jahr 2020 gilt für alle Bundesländer die scharfe Schuldenbremse – der „Haushaltsausgleich“ soll „ohne Nettokreditaufnahme“ stattfinden, Parlamente dürfen bei den Haushaltsbeschlüssen keine Neuverschuldung mehr einplanen. Jedenfalls grundsätzlich. So hat es der Bundestag ins Grundgesetz geschrieben.

Das war keine drei Monate in Kraft, da setzt sich der Bundestag fast einstimmig mit einem Nachtragshaushalt über 156 Milliarden Euro darüber hinweg. Die Coronapandemie sei eine „außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“ könne, so die Ausnahmeklausel, die der Gesetzgeber bemühte. Bei der Verankerung der Schuldenbremse, so der Bremer Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne), habe niemand eine solche Krisensituation im Blick gehabt. Ist damit die Schuldenbremse gestorben?

Keineswegs. Das war das Fazit einer Diskussionsrunde, zu der der Bremer Finanzsenator am Donnerstag eingeladen hatte. Der Bremer Senat hatte bei dem Münchener Finanzexperten Stefan Korioth ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob die Notfall-Maßnahmen der Coronakrise mit den Vorgaben der Schuldenbremse vereinbar seien. Seien sie, erklärte der. Denn in dem entsprechenden Artikel 155 des Grundgesetzes gilt das Neuverschuldungsverbot nur „grundsätzlich“, ein für das Grundgesetz ungewöhnlicher Hinweis.

Es gibt keine Präzisierung, wie viel Schulden in „Notsituationen“ gemacht werden und ob die Rückzahlung kurzfristig oder langfristig erfolgen soll. Auch die Vorgabe der EU, dass die Schuldenlast eines Landes nicht 60 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes übersteigen dürfe, ist aufgehoben – Deutschland wird am Ende dieses Jahres bei 72 Prozent liegen.

Die Finanzpolitiker auch von früheren Haushaltsnotlage-Ländern wie Bremen oder Berlin können also gut mit der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse leben, das machten sowohl Strehl als auch der Berliner Bundestagsabgeordnete und Haushaltsexperte Klaus-Dieter Gröhler deutlich. Auch die Bremer Bundestagsabgeordnete Sarah Ryglewski sieht das so, die vor zehn Jahren noch Bremer Juso-Landesvorsitzende war und inzwischen als parlamentarische Staatssekretärin zur rechten Hand von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aufstieg.

Vor einem Jahr sorgte sich der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln, Michael Hüther, noch, aufgrund der Schuldenbremse könnten in den kommenden zehn Jahren die erforderlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung nicht finanziert werden. Sind jetzt – unter dem Corona-Etikett – doch Kredite für Investitionen möglich? In Bremen heißt es in der Begründung für den coronabedingten „Bremen-Fonds“, die bis zu 130 Millionen Euro Kredit müssten auch zur „Unterstützung des gesellschaftlichen Neustarts nach der Krise“ zur Verfügung stehen. Auf Coronarechnung sollen Busse für den ÖPNV und 90.000 Laptops für SchülerInnnen bestellt werden.

Es gibt keine Präzisierung, wie viel Schulden in „Notsituationen“ gemacht werden

Da ist der Gutachter Stephan Korioth deutlich skeptischer. Investitionen, die schon vor der Coronakrise geplant waren, könnten schwerlich als Folge der Krise ausgegeben werden, erklärte er. Dieses Kriterium müsse auch beachtet werden, wenn der Senat Ausgaben „zur Abwendung sozialer Verwerfungen“ plane. „Trittbrettfahrerprojekte – das geht nicht“.

Im Moment sind die Politiker aber dennoch guten Mutes – schlicht weil es keine unabhängige Instanz gibt, die das prüfen würde. Für die Kontrolle der Regierungen sei die Opposition zuständig, erklärte Korioth, rein rechtlich gesehen jedenfalls. Aber selbst Ryglewski lobte das gute Verhältnis von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmeier und ihrem Finanzminister Olaf Scholz bei der Ausschüttung der Corona-Schulden. Corona sorgt für einen „Burgfrieden“ zwischen den Parteien, stellte auch Korioth fest. Und auch bei den Bundesländern gibt es keine Kontroversen mehr über die Haushaltsnöte anderer, alle versuchen, die Ausnahmeregelung möglichst kreativ zu nutzen.

Die Bremer Formel, dass die neuen Kredite zur „Unterstützung des gesellschaftlichen Neustarts nach der Krise“ verwendet werden sollen, nimmt derweil auch niemand wörtlich – „nach der Krise“ könnte vielleicht erst 2022 sein, meinte Finanzsenator Strehl.

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