So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über Francis Poulencs Mono-Oper „La voix humaine“ am Theater Bremen
: Fortschritt ist kein Gewinn

Killian Farrell hat’s drauf: Der neue Erste Kappellmeister am Theater Bremen ist ein toller Klavierbegleiter. Er spielt Francis Poulencs lyrische Tragödie zwar nicht so schwelgerisch-sinnlich, wie es sich der Komponist ausgemalt hat, der forderte, an einigen Stellen müsse die Musik „riechen wie zwischen Schenkeln und nach Wichse“: Dafür bräuchte es wahrscheinlich dann doch Streicher und Bläser.

Aber immerhin klingt der Flügel links auf der kahlen Bühne des Theaters am Goetheplatz bewundernswert zart im Dialog mit der Titelfigur der Mono-Oper „La voix humaine“ – die menschliche Stimme. Die verkörpert Nadine Lehner, ausdrucksstark und klug, vielschichtig und pointiert, der spröden deutschen Textfassung zum Trotz.

Weniger glücklich hat Regisseurin Vivien Hohnholz ihren Antagonisten besetzt: Als Gegenpol der menschlichen Stimme war beim Romantiker Alphonse de Lamartine noch die nicht-humane kosmische Harmonie aufgetreten. Beim Dramatiker Jean Cocteau, der 1930 auf dessen Gedichttitel für einen Einakter zurückgreift, ist es der Apparat. Mit dem ruft Er Sie an, seine Ex, um die gesammelten Liebesbriefe zurückzufordern, ständig stört das Fräulein vom Amt oder jemand ist falsch verbunden, Telefonieren ist Folter. „Am Ende müsste man überall Blut sehen“, hat Cocteau über das Stück gesagt, noch bevor die Surrealisten, die ihn wie ein stinkendes Tier erschlagen wollten, weil er schwul war, versucht hatten, es zu sabotieren.

Das Telefon resümiert die Kakophonie der Welt, die der Liebe feindlich gesinnt ist. Obwohl 1958, als er „La voix humaine“ komponierte, Selbstwählen üblich war, behielt Poulenc diesen Telekommunikations-Standard bei, in dem sich die soziale Dimension der Technik so deutlich artikuliert.

Das Telefon zu ersetzen, zwingt, das Drama neu zu definieren: So hat man Sie, erfolgreich, ein Zwiegespräch mit ihrem Revolver führen lassen, man hat Sie, intelligent, in ein abstraktes Kabelgitter gesperrt, wahrscheinlich wäre auch eine einsame Tortenschlacht ein brauchbares Szenario.

Nicht funktioniert, den Apparat nur zum Handy zu machen: Eine Frau, die ins Smartphone spricht, als wäre sie im Modus der Handyvermittlung, wirkt irre. Getilgt ist die physische Präsenz und dramaturgisch wichtige Immobilität des Bakelit-Möbels. Gewonnen wird nichts: Kein tragfähiges Konzept ist, wenn Sie nur ortlos über die Bühne irrt. Sie ins Lointain singen zu lassen, schadet der Musik. Stillstand wäre schöner als Fortschritt.