Mehr Musik für die Wasserballerinnen

Die deutsche Mannschaft zieht bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Montreal erstmals ins Viertelfinale eines großen Turniers und somit in die Weltspitze ein. Das oberste Ziel bleibt die erste Olympiateilnahme 2008 in Peking

MONTREAL taz ■ Es gibt Momente, für die es sich lohnt, Wasserballerin zu sein. Einen dieser Momente hat Katrin Dierolf am Samstag bei der Schwimm-WM in Montreal erlebt. Im Zwischenrundenspiel gegen Neuseeland lagen die deutschen Wasserballerinnen knapp zwei Minuten vor Schluss 0:1 zurück, hatten davor schon viermal die Latte oder den Pfosten getroffen. Aber es musste dringend ein Sieg her, um das Ausscheiden zu verhindern. Da fasste sich die 26-Jährige ein Herz, zog ab und markierte den 1:1-Ausgleich. Es war die Wende in einem Spiel, das die Deutschen durch einen weiteren Treffer von Ariane Rump doch noch 2:1 gewannen. „Irgendwann muss jemand schießen“, hatte sich Katrin Dierolf gesagt, „jetzt nehme ich den Ball, gebe ihn nicht mehr her und schieße – aus, fertig.“

Der Einzug ins heutige WM-Viertelfinale gegen Ungarn ist der größte Erfolg seit langem für die deutschen Wasserballerinnen und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Bernd Seidensticker, der Bundestrainer, hatte nach dem Herzschlagfinale erstaunlich schnell wieder die Fassung gewonnen. „Jetzt garantiere ich für nichts mehr“, sagte er, „denn auch gegen den Viertelfinalgegner Ungarn können wir mitspielen.“ Dass die Deutschen jetzt unter den besten acht Teams der Welt stehen, ist eigentlich schon Erfolg genug. Denn sowohl bei der Olympia-Premiere 2000 in Sydney als auch im vergangenen Jahr in Athen hatten die deutschen Wasserballerinnen zuschauen müssen. In Montreal haben sie nun den Anschluss an die Weltspitze hergestellt.

Für Seidensticker war es ein ganz persönlicher Triumpf. Als er sich als einziger arrivierter deutscher Männertrainer bereit erklärt hatte, die Frauen zu übernehmen, wurde er von manchem Kollegen nur mitleidig belächelt. Jetzt sieht die Welt ganz anders aus. „Es macht unglaublich viel Spaß, mit den Mädchen zu arbeiten“, sagte der 45-Jährige, der sein junges Team schon mit Perspektive auf Olympia 2008 zusammengestellt hat. Dass der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ihm und seinem Team die Teilnahme an den zwei Vorrundenturnieren der Weltliga in La Jolla (Kalifornien) und New York ermöglicht hat, sieht der Coach als Schlüssel zum Erfolg. „Dieses Vertrauen geben wir jetzt zurück“, sagt Seidensticker, während die DSV-Präsidentin Christa Thiel an ihm vorbeistürmte, um den Athletinnen persönlich zu gratulieren.

Das erfolgreiche Abschneiden bei der WM könnte schon die halbe Miete auf dem Weg nach Peking sein, denn dem deutschen Frauenwasserball winkt nun der Aufstieg in die Förderstufe zwei in der Sportförderung. „More money, more music“, formulierte Bernd Seidensticker blumig, rosige Zeiten erahnend. Bisher war nämlich seiner und der Idealismus der Spielerinnen die wichtigste Antriebsfeder gewesen, bald könnten vielleicht Trainingslager und Länderspielreisen organisiert werden, ohne dass geknausert werden oder der Geldbeutel der Athletinnen angezapft werden muss.

Den nötigen Idealismus hat Katrin Dierolf schon als Kind mitgebracht, als sie in der männlichen C-Jugend ihres Stammvereins SSV Esslingen mitspielte. Die Entscheidung für diesen Exotensport war für ein Mädchen ihres Alters nicht ganz normal, aber die kleine Katrin hat schon früh gelernt, dass Jammern nichts nützt. „Da wird gezwickt, gekratzt, gebissen – und manchmal kommt man sehr ramponiert wieder aus dem Wasser heraus“, sagt sie. Das ist nicht sehr damenhaft, allerdings muss gesagt werden, dass Katrin Dierolf erblich vorbelastet ist: Ihr Vater Gerhard trainiert in Esslingen bis heute alle Jugendteams, und ihr Onkel Jürgen Stiefel war schon einmal WM-Torschützenkönig, Bruder Steffen ist Kapitän der deutschen Männermannschaft.

Die Hartnäckigkeit von Katrin Dierolf hatte sich bereits vor dieser WM ausgezahlt. Dank eines Sportstipendiums konnte sie viereinhalb lang an der Universität von Los Angeles Politik studieren und nebenbei Wasserball spielen. Bei der WM in Montreal hat sie nun gezeigt, was sie so alles gelernt hat. JÜRGEN ROOS