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Piepmatz des Grauens

Armin Petras hat in Bremen die Uraufführung seines Schauspiels „düsterer spatz am meer / hybrid (america)“ besorgt: Weder Stoff noch Figuren scheinen ihn groß zu interessieren

Von Benno Schirrmeister

Schön ist dieser eine Auftritt von Alexander Swoboda in der Rolle eines Ornithologen namens Ernest Steven: Ist es eigentlich unfair, jemanden mit so viel mehr darstellerischem Potenzial und Differenzierungsvermögen als der Rest im Ensemblestück mitspielen zu lassen, sodass sich die Übrigen durch Brüllen und Keifen bemühen müssen, daneben bestehen zu können? Verhüllt Regisseur Armin Petras so viele Szenen in Bühnennebel, um dieses Gefälle gnädig zu verdecken?

Jedenfalls: Wenn Swoboda als Steven in – sorry, der Kalauer muss – kauziger Begeisterung über sein Herzensprojekt berichtet, die Beobachtung der Titelfigur, dann steht da plötzlich ein Mensch auf der Bühne des Bremer Goetheplatz-Theaters und das Schauspiel „düsterer spatz am meer / hybrid (america)“ von Fritz Kater alias Petras beginnt zu leben. Es lebt also wenigstens diese eine dreiminütige Szene lang in der dreistündigen Uraufführung.

Und das, obwohl auch hier der Text noch schlampig bleibt: ein durch Einwürfe fadenscheinig dialogisiertes Referat der Ausrottungsgeschichte des Dusky Seaside Sparrow, viel zu eng entlang des englischen Wikipedia-Eintrags zum Thema, viel zu weit von der zoologischen Fachsprache. Dabei hätte die den Charakter dieser Figur vertiefen können, die vom Stücktext nur durch ihre Profession bestimmt ist. Nun denn.

Nichts gegen konsequente Schreilage und hustenreizenden Bühnennebel, wo es keine Furcht einflößt, wird es doch immerhin Mitleid erregen. Und erst recht nichts gegen Schlampigkeit! Schlampigkeit ist toll! Schlampigkeit kann sogar genial sein, und manchmal ist sie es auch hier: Erst der lustvoll zele­brierte Übersetzungsfehler, der aus Ammospiza maritima nigrescens den raunend-anrüchigen Düsterspatz macht, verhilft ja der biederen Schwarzen Strandammer zu einem Format, das ihr erlaubt – america steht ausschließlich für die Vereinigten Staaten – den Weißkopfadler als Wappentier zu ersetzen.

Bloß legt Nachlässigkeit nicht immer kreative Potenziale frei. Über weite Strecken verrät die sorglose Schlampigkeit des Autors Armin Kater und die planlos wirkende Krawalligkeit des Regisseurs Fritz Petras oder vice versa Thema, Figuren und Settings des eigenen USA-Bilderbogens. Der soll „eine Familiengeschichte als bitteren Abgesang auf den amerikanischen Traum“ aufblättern vom Ende der Ära Reagan – bis 2015, dem Jahr des San-Bernardino-Massakers, das ein Video-Einspieler kurz erwähnt.

Er setzt ein im Hochsommer 1987, kurz vor dem großen Börsencrash, die Szene ist ein heruntergekommenes Motel auf Merrit Island – dem Ort, an dem der letzte dunkle Spatz kurz zuvor verendet und über dem vor gar nicht langer Zeit der amerikanische Weltraumtraum am Himmel zerstieben war: Die Challenger-Explosion hätte gut und gerne die ganze Insel beseitigen können.

Das ist ein gut gewählter Schauplatz – am Ende wollen die Bösen ja auch wieder hoch hinaus, um die Mondbodenschätze zu bergen, und von wo, wenn nicht von Cape Canaveral sollen sie dann starten? – und es bleibt doch völlig unspezifisch: In Petraskaters Florida haben Schwarze keinen Platz und es kommen nicht mal Hispanos oder gar Kubaflüchtlinge vor. Die würden beim Aufblättern antikapitalistischer Stereotype ja auch wirklich nur stören.

Stattdessen gibt’s erst mal nur White Trash, der irrerweise auf die Haut- & Haarpflegeprodukte-Marke „Kiehl’s Kosmetik“ zurückgreift – das ist die falsche Marke, aber fürs Milieu seiner Figuren interessiert sich der Dramatiker offenbar nicht wirklich. Und er hantiert mit total anachronistischen Payback-Punkten: Selbst in Deutschland, wo es sie, anders als in den USA, gibt, gibt es dieses Bonussystem erst seit 20 Jahren. Die Zeit und das Land sind Kater also demnach auch wumpe. Nur: Warum macht er dann nicht ein Stück aus etwas, mit dem er sich beschäftigen mag?

Guido Gallmann hängt er in ein von Bühnenbildner Julian Marbach entworfenes verqueres Balkengestell: Er ist der Motelbesitzer, Alkoholiker und Vietnamveteran John Dubrovnik, natürlich verkrüppelt, und das Grauen dieses Kriegs teasert der Text so versatzstückhaft an, dass man die Passagen nur als widerwärtige Exploitation beschreiben kann. Annemaike Bakker, seine Frau Veronique, schrubbt den Rand des trockengelegten Orchestergrabens – die Wasserrechnung für den Pool ist mal wieder nicht bezahlt worden – und die Tochter Melinda, die zunächst von Mirjam Rast und dann von Bakker gekreischt wird, wirft sich dem einzigen Gast an den Hals. Der Firmen-Erbe Martin Hamilton, hier von Ferdinand Lehmann gebrüllt, dann doppelt besetzt, heiratet und wird später ein ganz, ganz schlimmer Börsenspekulant werden.

Sehr zu Recht verteidigt Dramaturgin Simone Sterr die Figuren im Programmheft vorweg gegen den Vorwurf, Abziehbilder zu sein: Abziehbilder sind nämlich mehrschichtig und bestehen aus so interessanten Materialien wie Klebstoff oder Lack. Immerhin wirft die 2008er-Finanzkrise ein hübsches Slapstick-Ringelreihen auf weißen Plastikstühlen ab.

Aber jetzt baut Hamilton erst mal noch, um sein großes Werk zu ­schreiben, eigenhändig David Thoreaus Walden-Hütte nach, in der in einer anderen Szene der Una-Bomber Ted Kaczinsky einzieht, wenn auch in den Wäldern Montanas. Alles mehr nebulös als originell: Was bliebe einem da übrig, als zu schreien? In einem Akt der Selbsterkenntnis entfacht Hamilton-Lehmann ein Feuer mit dem Manuskript. Dazu gibt es Musik und das ist tröstlich.

„düsterer spatz am meer / hybrid (america)“: Sa, 24. 10., 19.30 Uhr, So, 25. 10., 15.30 Uhr, und Di, 24. 11., 19.30 Uhr, Theater Bremen, Großes Haus

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