: Republikflucht
Von Peter Grohmann↓
„Wir schaffen das!“, sagten sich fast vier Millionen Menschen, die bis zum Fall der Berliner Mauerbauer die DDR verließen. Sie kamen unterirdisch, zu Wasser, zu Lande und aus der Luft, vielfach unter Lebensgefahr, weil sie keine Spitzel werden wollten, weil ihnen das System nicht passte, weil sie die Schnauze voll hatten vom so genannten Sozialismus, der real „drüben“ nie existierte. Oft waren die Gründe genauso vorgeschoben: Die Menschen wollten Bananen, Bohnenkaffee und einen BMW (den erst nach dem Kaffee). Die es geschafft hatten, die nicht im Knast landeten oder im Stacheldraht hängen blieben (wie heute auf der Balkanroute), blieben oft lebenslang Menschen wie Du und ich. Und die es nicht geschafft hatten? Auch.
Die Ressentiments gegen die DDR blieben erhalten, auch die gegen Ausländer, Juden, Schwule. Hinzu kamen im Laufe der Jahre bei vielen von uns die Ressentiments gegen die Bundesrepublik. So etwas summiert sich. Coronagegner etwa würden sich, nachdem sich ihrer Meinung nach die Republik immer mehr zu einer brutalen Diktatur entwickelt, ostwärts absetzen können – Putin etwa ist sehr beliebt, und westwärts lauert die Weltregierung, sagt selbst Kennedy jr. unter dem Jubel der 50.000 Republikflüchtlinge.
Wie immer blieben auch diesmal viele zu Hause, um ihren BMW zu putzen, oder weil sie die Grippe fürchteten oder von den gleichgeschalteten Medien eingeschüchtert wurden. So manche mögen auch an Rechtschreib-, Seh- und Leseschwäche leiden. Kann sein. Ich tippe eher darauf, dass ihnen der prophezeite Untergang der Republik piepegal ist und sie sich sagen: „Die schaffen das auch ohne mich!“
Unterdessen haben einstweilen immer noch alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, was aber die wenigsten machen. Und wenn, dann tun sie’s eher selten und ungern – also anders als derzeit in Belarus. In Minsk versammeln sich Woche um Woche voller Enthusiasmus die Freunde der Republik, und nur wenige von ihnen werden eingefangen und gefoltert – die Abschreckung funktioniert nicht. Richtig ist aber auch, dass die CIA auch dort mitmischt – wie der russische Geheimdienst. Und dass die Nato-Aufmärsche im Osten diesmal keine Erfindung von Russia Today sind. „Was Lukaschenko oder Trump angeht“, so meine Omi Glimbzsch in Zittau, „da dreh’ ich die Hand nicht um.“
Ach so, Artikel 8 GG: Demonstrationen, die maßvolle Gesundheitsvorschriften maßlos missachten, sind nicht friedlich.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator von Bürgerprojekten.
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