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Moderne Hütchenspieler

Die Modernisierungsumlage ist der Gesetz gewordene Enkeltrick: Wer eine Immobilie hat, kann deren Wert ganz legal auf Kosten seiner Mieter steigern lassen. Besonders dreist treibt es die Vonovia, der größte Wohnungskonzern der Republik. Nun droht dem ­Unternehmen eine Klagewelle.

Im Grundsatz richtig, in Wirklichkeit nicht ganz real. Fotos: Joachim E. Röttgers

Von Minh Schredle↓

Mit einem einfachen Trick können Immobilienbesit­zer in Deutschland den Wert ihres Eigentums steigern, ohne selbst dafür zu zahlen. Dabei hört es nicht damit auf, dass jemand anderes für die energiesparende Heizanlage aufkommen darf, die den alten Ölschlucker im Keller ersetzt. Nein, die auf diesem Wege Begünstigten können jetzt auch noch mehr Miete verlangen, und das unbefristet. Es grenzt an Magie: Sie verdienen daran, dass andere für sie bezahlen.

Modernisierungsumlage heißt das Zauberwort, das die Moneten, Abrakadabra, aus den Taschen der Mietbevölkerung verschwinden lässt, bis sie, Simsalabim, auf dem Konto eines Hausbesitzers wieder auftauchen. Dieser spektakuläre Vorgang mag unglaublich erscheinen, doch dahinter steckt keineswegs Hexerei, sondern, noch gruseliger, das Gesetz. Wie der Hütchenspieler einen Lockvogel braucht, um das Publikum zu lumpen, funktioniert auch der Modernisierungstrick nicht ohne Komplizen. In diesem Fall waren es die Bundesregierungen seit 1974.

Das Prinzip funktioniert so: Damit Immobilieneigner ihren Wohnungsbestand nicht über Gebühr verlottern lassen, wollte die Gesetzgebung einen Anreiz schaffen, in eine moderne Ausstattung zu investieren. Um eine Modernisierung geltend machen zu können, muss es sich um Maßnahmen handeln, die über eine Bestand wahrende Sanierungen hinausgehen. Etwa eine Solaranlage auf dem Dach, die auch dem Klima gut tut. Wie üblich in der Politik, galt es bei der Ausgestaltung der Rechts­lage die Interessen verschiedener Gruppen auszutarieren, namentlich der Mieter und Vermieter. Und, wie üblich in der Politik, hatten die Interessen der Gruppe mit mehr Vermögen Vorrang.

The winner takes it all

Mieter könnten, so wird es gerne in Medienberichten kolportiert, an den Kosten für eine Modernisierung „beteiligt“ werden, und das klingt irgendwo fair: Als Gesellschaft leisten alle ihren Beitrag, dass Wohnungen zeitgemäß und ökologisch vertretbar bleiben, außerdem profitieren die Mieter ja auch davon, wenn das Haus nun einen schicken neuen Fahrstuhl hat (auch wenn sie nicht mitreden dürfen, ob sie einen schicken neuen Fahrstuhl/Balkon/etc. wollen). Faktisch werden die Mieter aber nicht an den Kosten für die Modernisierung „beteiligt“, sie zahlen diese komplett. Denn acht Prozent der Gesamtausgaben dürfen auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden – was bedeutet, dass die Investition nach 12,5 Jahren zu 100 Prozent von den Mietenden abbezahlt ist, die Miete aber dauerhaft teurer bleibt. Ein gesetzlich festgeschriebener Umverteilungsmechanismus, der Geld zuverlässig von arm nach reich transferiert.

Ausnahmen gibt es bei Staffel- und Index-Mietverträgen, zudem können in speziellen Fällen Härtefallregelungen greifen und eine Mieterhöhung verhindern.

Abgesehen von diesen Sonderfällen waren den Preisaufschlägen per Modernisierungsumlage keinerlei Obergrenzen gesetzt – bis die SPD Anfang 2019 in der amtierenden Regierung dafür sorgte, dass sich Monatsmieten durch derlei Maßnahmen allerhöchstens verdoppeln dürfen. Zudem darf der Preisaufschlag pro Quadratmeter nicht mehr als drei Euro innerhalb von sechs Jahren betragen. Am zugrunde liegenden Modell der fremdfinanzierten Immobilienwertsteigerung wollte die Regierung allerdings nicht rütteln.

Den Rechtsstreit sieht die Vonovia gelassen

Während Vermieter mit sozialem Gewissen nur selten alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen die Modernisierungsumlage eröffnet, stellt das Ausreizen der Rechtslage einen integralen Bestandteil der Geschäftsstrategien renditeorientierter Immobilienkonzerne dar. Die Folgen für Betroffene können dann so aussehen: In der Stuttgarter Forststraße wollte die Schwäbische Bauwerk GmbH, kurz bevor die Kappungsgrenze der Mietenverdopplung rechtskräftig wurde, einen Modernisierungszuschlag von 136 Prozent verlangen, eine Steigerung von 488,30 Euro im Monat auf 1.155,24 Euro kalt – was sich die betroffene Krankenschwester nicht mehr leisten konnte.

Aus der mieterfeindlichen Praxis ist längst ein geflügeltes Wort geworden. Sogar Konstanz’ konservativer Ober­bürgermeister Uli Burchardt hat sich schon öffentlich darüber geärgert, wie etwa die Vonovia – das größte Wohnunternehmen der Bundesrepublik – Menschen aus ihren Behausungen „hinaus­modernisiert“. Diese Praxis hatte unter anderem zur Folge, dass zahlreiche Rentner die Behausung verloren. Nach viel öffentlicher Kritik erklärte Rolf Buch, Vorstandschef der Vono­via, daraufhin im Mai 2019: „Wir geben Mietern ab 70 die Garantie, dass sie ihre Wohnungen nicht verlassen müssen.“

April 2019 in Stuttgart: Protest gegen die Vonovia auf einer Demo gegen zu hohe Mieten.

Diese Entscheidung aus Kulanz steht im Kontrast zu Modernisierungen der Vonovia, nach denen, wie Landgerichte in Stuttgart, Hamburg und Bremen urteilten, zu viel von den Mietparteien verlangt worden ist. In Stuttgart klagte dabei eine Frau, deren Miete um 37,5 Prozent teurer werden sollte. Bereits im ­Januar dieses Jahres hatte ihr das Stuttgarter Amtsgericht Recht gegeben. In zweiter Instanz folgte das Landgericht dieser Entscheidung und begründete, die Vonovia habe nicht hinreichend klar dargelegt, welche Maßnahmen einer Modernisierung dienen und bei welchen es sich nur um eine einfache Instandhaltung handelt, die nicht auf die Miete umgelegt werden darf. Die Vonovia wurde daher, wie auch in Bremen und Hamburg, zu einer Rückzahlung verpflichtet.

Rolf Gaßmann, baden-württembergischer Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbunds, spricht von einem wichtigen Gerichtserfolg: „Denn die von den Gerichten bemängelte korrekte Abgrenzung von Instandhaltung und Modernisierungsaufwand fehlt bei allen Modernisierungsmieterhöhungen von Vonovia.“ Womöglich wurde in all diesen Fällen zu viel Miete verlangt. Daher prüfe der Mieterverein derzeit eine Sammelklage, teilt Gaßmann mit. Er appelliert an Betroffene, aktiv zu werden. Siehe dazu seinen Aufruf „Hauptsache Profit“.

Bei der Vonovia gibt man sich indessen gelassen. Auf Anfrage erläutert eine Sprecherin, dass das Unternehmen das Stuttgarter Urteil für falsch halte und weitere rechtliche Schritte prüfe. Es gehe zudem „um eine rein juristische Formalie, nicht um die Modernisierung oder die daraus resultierende Miet­erhöhung. Die steht hier nicht zur Dis­kus­sion.“ Die Aussichten einer Sammelklage stellt die Vonovia als überschaubar dar. Das Urteil hat keine grundsätzliche Bedeutung – daher bedarf es auch keiner neuen Vorbereitungen oder Berechnungen.“

Insgesamt behaust die Vonovia in Deutschland eine Million Menschen in 400.000 Wohneinheiten. Drei Prozent des Bestands will das Unternehmen pro Jahr auf Vordermann bringen. Auch wenn dabei die Grenzen des Gesetzes überschritten werden, fallen Gewinn- und Verlustrisiko der involvierten Parteien sehr unterschiedlich aus. So auch bei einer möglichen Sammelklage. Für die Mieter kann es um die Frage gehen, wie sie am Monatsende über die Runden kommen. Für die Vonovia hingegen geht es um wenig. Das schlimmste, was dem Unternehmen passieren kann, ist, dass es gezwungen wird, rechtswidrig zu viel verlangte Miete zurückzuzahlen. Aus unternehmerischer Sicht kann das kaum ein Grund sein, nicht wenigstens den Versuch zu wagen.

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