piwik no script img

Sonne im Glas

Eine faire Solarlaterne aus Südafrika wird erfolgreich in Deutschland verkauft. Doch faire Produktionsbedingungen für Elektronik zu garantieren ist eine Herausforderung

Raus aus der Nische: Es fehlen bekannte Zertifizierungen für faire Elektronik

Von Helke Diers

Der Mann mit Brille heißt Harald Schulz und ist Gründer von Suntoy Südafrika. Unter dem Namen Sonnenglas werden die dort produzierten Solarlaternen seiner Firma in Europa vertrieben. Die Sonnenlicht speichernden Gläser sind eines der wenigen fairen Elektronikprodukte auf dem Markt. Auf den – in diesem Jahr digitalen – Fachtagen des Weltladen-Dachverbands warfen Messeteilnehmer einen Blick in die Fabrik. Sie laufen mit Schulz per Videoschalte durch die Hallen und sehen, wie Leiterplatten mit Lötzinn bestrichen, Magnete befestigt, Bügelschalter angebracht, Licht geprüft und Drähte abgerundet werden. „36 Produktionsschritte“, sagt Schulz im Suntoybüro in Südafrika. Das Sonnenglas ist erfolgreich – und will Wegbereiter der fairen Elektronik sein.

Dass bisher über drei Millionen Sonnengläser verkauft werden, ist eine Aneinanderreihung von Zufällen. Stefan Neubig ist Geschäftsführer der deutschen Firma hinter Sonnenglas und erzählt über die Anfänge: von häufigen Stromausfällen in Südafrika, die den lokalen Glashersteller Consol dazu bewogen, aus Glas eine Solarlampe herzustellen. In Harald Schulz fanden die Glasproduzenten einen freiberuflichen Ingenieur, der die LED-Laterne im Einmachglas schuf. „Es ging ganz typisch mit Garage und Hinterhof los“, sagt Neubig. „Die Laternen waren ständig vergriffen.“ Sie sollten Kerzen und Petroleumlampen ersetzen, Brände in den Townships verhindern.

Neubig reiste 2013 nach Südafrika, sah eine der ersten Laternen in einem Co-Working-Space in Kapstadt und schrieb eine E-Mail an das ihm noch unbekannte Unternehmen. „Ich fand es ein absolut geniales ökologisches Konzept und wollte eigentlich eine für mich haben. Das war die erste Version und von Hand zusammengelötet.“ Einer der Suntoy-Mitarbeiter war wie Neubig Fotograf, beide kamen ins Gespräch. Neubig besuchte spontan die Firma in Johannesburg mit rund 20 Mitarbeitenden. Er, der als Student selbst ein Start-up gegründet hatte, fand schnell Anschluss an die junge Firma – und blieb. „Man hat sofort gemerkt: Da sind Menschen, die wollen etwas Neues machen. Ich habe das Start-up-Gefühl dort wiedergefunden.“ Er schlug vor, die Laterne als Fair-Trade-Produkt in Deutschland und Europa als „Sonnenglas“ zu verkaufen. In Deutschland gibt es zwar weniger Stromausfälle, aber einen Markt für gedämpftes Solarlicht in Wohnung und Garten. „Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Elektronik fair sein kann“, sagt er über die Sonnenglas-Mission.

Heute ist Neubig hauptberuflich Geschäftsführer. Die Glaslaternen werden über die Weltläden verkauft, auch über Amazon und Einzelhändler. „Wir müssen dort sein, wo die Kunden einkaufen“, so Neubig. Rund die Hälfte der Laternen werde in Südafrika verkauft. „Alles ist viel erfolgreicher geworden, als jeder der Beteiligten es sich hätte ausmalen können. Wir haben ein Produkt geschaffen, das ein konkretes Problem löst: Es bringt Licht in Gegenden ohne Strom und mit Stromausfällen.“ Ähnliche Laternen sind im Web leicht zu finden und seit ein paar Jahren bei Amazon gelistet. Neulich: „Wir kämpfen mit Kopien unseres Produkts, die auf den Markt drängen, aber technisch wesentlich schlechter sind als unseres.“

Sonnenglas sagt über sich selbst, „sozial nachhaltig und konsequent nach Fair-Trade-Standards“ zu produzieren. Was das bedeutet, ist im Bereich Elektronik schwer zu erfassen. Ein Problem liege in den Lieferketten, erklärt Rebecca Heinz, Referentin für Ressourcenpolitik bei Germanwatch. „Elektronikteile sind eine sehr kleinteilige Produktion verschiedener Hersteller. Allein in einem Handy stecken über 32 Rohstoffe.“ Die Nachverfolgbarkeit sei sehr schwer umzusetzen.

Es fehlen bekannte Zertifizierungen für faire Elektronik. „Elektronik passt oft nicht rein, weil es sehr außergewöhnlich ist“, meint auch Neubig. Nach Zahlen des Forums Fairen Handels (FFH) werden mit Non-Food-Artikeln knapp ein Fünftel des Umsatzes im fairen Handel gemacht, hauptsächlich Blumen und Textilien. Rund 3 Prozent sind „sonstige“ Artikel: Kunsthandwerk, Kosmetik oder eben Elektronik. In Deutschland bekannt sind faire Smartphones.

Bei Sonnenglas kämen die meisten Komponenten, wie das Glas und die plastikfreie Verpackung, aus Südafrika, die Elektronikkomponenten würden aus anderen Ländern importiert, erklärt Geschäftsführer Neubig. Einen echten Einfluss auf die Lieferketten zu haben sei als kleine Firma schlicht unmöglich, deshalb liege dort nicht der Fokus des Unternehmens. Man bemühe sich um die Zertifizierung der World Fair Trade Organisation (WFTO) und sei als Weltladenlieferant gelistet.

Selbst gestalten kann Suntoys die Arbeitsbedingungen in der Johannesburger Fabrik. Und die seien vom Weltladen-Dachverband überprüft worden, erzählt Neubig. Dort arbeiteten rund 100 Menschen, viele seien zuvor erwerbslos gewesen und lebten in den Johannesburger Randgebieten. Alle Mitarbeitenden seien fest angestellt und verdienten über dem Mindestlohn in Südafrika. Beim digitalen Fabrik­rundgang schätzt Schulz, von einem Gehalt würden durchschnittlich fünf Menschen leben. „Ein Mitarbeiter, der bei uns anfängt, verdient ungefähr das Doppelte wie ein Kassierer“, meint Neubig. Dazu gebe es Kranken- und Rentenversicherung, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschutz und einen Sozialfonds, aber keine Arbeitnehmerinteressenvertretung.

Die Coronapandemie hat auch bei Suntoy Spuren hinterlassen. „Die Fabrik musste für einen Monat komplett schließen. Bis heute dürften nur 30 Menschen gleichzeitig in der Fabrik sein“, beschreibt Neubig die Lage im Küstenstaat. Im Video sehen die zuschauenden Mitarbeiter*innen mit Stoffmasken an ihren Arbeitsplätzen, während sie Drähte biegen und Gläser stapeln. Neubig und Schulz sagen, der Lohn sei vollständig weiterbezahlt und die Arbeit zum Teil ins Homeoffice verlegt worden. Was die Firmen hinter der Solarlaterne verhältnismäßig gut dastehen lässt, ist der Onlinevertrieb. Neubig sagt, man setze rund die Hälfte der Lampen in Europa digital ab. „Das hat uns gerettet.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen