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Endlich zu Hause

Über ein „Housing First“-Programm sollen Obdachlose ab 2021 Wohnungen bekommen können – ohne sich davor erst als würdig erweisen zu müssen

Von Lotta Drügemöller

600 Wohnungslose gibt es in Bremen, vielleicht sind es auch 700. Dabei heißt es in der Landesverfassung: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“ Es sei Aufgabe des Staates, „die Verwirklichung dieses Anspruchs zu fördern“. Einen neuen Schritt in diese Richtung plant die rot-grün-rote Landesregierung aktuell: Schon ab dem zweiten Quartal 2021 soll in Bremen ein Modellprojekt zu Housing First starten.

Wie das aussehen könnte, wird heute in der Sozialdeputation besprochen. Jährlich 35 Wohnungen sollen nach dem Konzept zur Verfügung gestellt werden, verteilt in der ganzen Stadt. Bei willigen Vermieter*innen soll Bremen sich Belegrechte sichern: Die Stadt darf entscheiden, wer einzieht, die Vermieter*innen kriegen im Gegenzug eine Garantie auf die Miete; bei größeren Schäden kommt die Stadt auch für deren Beseitigung auf. Umsonst ist das alles nicht: Im siebenstelligen Bereich werden die Kosten für das dreijährige Modellprojekt wohl landen.

Der Housing-First-Ansatz geht von einem Menschenrecht auf Wohnen aus. Das heißt: Für die Vergabe einer Wohnung sollte der Staat zunächst nichts erwarten dürfen. Nicht, dass jemand sich einem Entzug unterzieht; nicht, dass jemand erst in einem Heim seine Wohnfähigkeit unter Beweis stellt; nicht einmal, dass jemand pünktlich zu Wohnungsbesichtigungen kommt.

„Wir müssen die Logik am Wohnungsmarkt umkehren“, so Jutta Henke, wissenschaftliche Leiterin und Geschäftsführerin der Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS). „Wohnungen dürfen nicht nur aus der Vermieterlogik vergeben werden – wer ist der attraktivste Mieter – sondern danach, wer es am meisten braucht.“ Die GISS forscht zu Wohnungslosigkeit und hat bereits das Housing-First-Modellprojekt in Berlin begleitet. Über das Vorhaben freut man sich auch beim Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen, in dem sich Träger und Aktive der Wohnungslosenhilfe zusammengeschlossen haben. „Wir haben lange dafür gekämpft“, so Sprecher Joachim Barloschky.

Im Modellprojekt soll gelten: Erst die Wohnung, dann alles Weitere. Die neuen Mieter*innen sollen über zwei Jahre oder auch länger betreut werden – in früheren Versuchen, Obdachlose nach dem Obdachlosenpolizeirecht mit Wohnraum zu versorgen, hatten solche Angebote weitgehend gefehlt. Etwa alle zwei Wochen sollen Sozialarbeiter*innen oder, nach Bedarf, auch Haushälter*innen vorbeischauen und ihre Hilfe anbieten. Auch ehemalige Obdachlose will man als Unterstützer*innen im Boot haben. Die Begleitung hält Henke für unumgänglich: „Mit der Wohnung wird vieles besser, aber nicht alles gut.“

Wer die Hilfe verweigert, die Tür nicht öffnet, der soll dafür keine Sanktionen zu erwarten haben. Die Erfahrung bisher sei aber, so Henke, „dass Hilfe meist angenommen wird, wenn sie sich an dem orientiert, was die Menschen sich wünschen.“ Überhaupt: Die Begleitprobleme seien meist kleiner als befürchtet. In Hamburg hat die GISS gerade ein Projekt zu Wohnraumversorgung für Langzeitwohnungslose evaluiert – und „fast keine Probleme mit den Nachbarn festgestellt“, so Henke. Bei einem dezentralen Programm wie dem Bremer Projekt hält sie Stress mit Nachbarschaften für noch unwahrscheinlicher.

Erst kommt die Wohnung, dann erst die weitere Unterstützung

Für alle freilich gibt es dann doch keinen Platz in Bremens Housing-First-Projekt: Der Bericht an die Deputation schränkt ein, dass Obdachlose mit akuten psychischen Erkrankungen, die mit Fremd- oder Selbstgefährdung einhergehen, nicht in Frage kommen; auch bei sehr eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten – etwa Demenz oder dem Korsakow-Syndrom, das durch Alkoholmissbrauch hervorgerufen wird, fällt man heraus.

Sind nicht also gerade die Gruppen an Wohnungslosen, für die auch viele andere Angebote scheitern, so vom Housing-First-Ansatz ausgeschlossen? „Menschen mit psychiatrischen Problemen sind in anderen Projekten besser aufgehoben“, sagt dazu Bernd Schneider, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Für unterschiedliche Menschen müsse es unterschiedliche Angebote geben, findet auch Barloschky.

Henke dagegen konstatiert: „Sollten nur die leichten Fälle versorgt werden, wäre das kein Housing First.“ Als große Kritik sieht sie das aber nicht. „Es ist immer noch Wohnraumversorgung“, so die Wissenschaftlerin. Überhaupt: „Wenn man beginnt, ist man vielleicht etwas vorsichtiger. Aber mit den Erfolgserlebnissen kann Bremen ja noch mutiger werden.“

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