: Erst sanieren, dann reden
Während weltweit über den Sturz von Statuen diskutiert wird, hat Bremen in aller Stille die eigene Bismarck-Statue saniert. Jetzt soll über den Umgang mit dem Denkmal gesprochen werden
Von Lukas Scharfenberger
Bei den „Black Lives Matter“-Demonstrationen haben Aktivist*innen in Bristol und Antwerpen Statuen mit kolonialem und rassistischem Hintergrund entfernt. Auch in Hamburg hat sich Protest gegen die Sanierung der weltweit größten Bismarck-Statue am Hamburger Hafen formiert. Die Bremer Bismarck-Statue neben dem Dom war hingegen Anfang des Jahres ohne Proteste saniert worden, der bröckelnde Sockel erhielt eine Kupfereinfassung. „Tatsächlich wäre es aber sinnvoll, einen Diskurs zu führen“, sagt Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) und verweist auf einen Bürgerdialog am 7. September, bei dem es um koloniale Denkorte gehen soll. Dem Senat sei es wichtig, „nicht von oben Themen vorzugeben, sondern sie im Dialog mit Aktivist*innen, Kulturakteur*innen und Wissenschaftler*innen zu entwickeln“.
Nach einem Sturz der Statue sieht es nicht aus. In Bremen, so scheint es, gehen die Uhren etwas langsamer. „Was die Dekolononialisierung des öffentlichen Raums angeht, denke ich, dass die Leute in größeren Städten wie Hamburg weiter sind als wir“, sagt Virginie Kamche vom Afrika-Netzwerk Bremen. „Viele wollen dort die Geschichte Afrikas kennenlernen und noch mal neu schreiben.“
Den Sturz der Statue fordert aber auch Kamche nicht. Vielleicht, weil der Stein des Anstoßes auf dem Domshof eine ganz besonderer ist: Die 1910 enthüllte Bremer Bismarck-Statue gilt als erste und beinahe einzige zu Pferde und wurde von dem bekannten Münchner Bildhauer Adolf von Hildebrandt entworfen. Georg Skalecki, Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, betont ihren kunsthistorischen Wert: „Die Darstellung zu Pferd war in Preußen nur Fürsten oder regierenden Häuptern vorbehalten. Diese Vorschrift übergangen die Bremer mit den Worten ‚Umso besser! Wir sind ja nicht in Preußen‘.“
Ein richtiges Kunstwerk ist dieses Reiterstandbild also. Leider aber auch eines, das für den Kolonialismus steht: Es war Bismarck, der als Initiator und Gastgeber des Berliner Kongresses im Jahr 1878 maßgeblich für die willkürliche Aufteilung afrikanischer Gebiete unter den europäischen Mächten verantwortlich war. „Bismarck war derjenige, der andere eingeladen hat, um Afrika wie einen Kuchen aufzuteilen“, sagt Kamche. Außerdem gründete Bismarck 1884 das deutsche Kolonialreich, indem er Togo, Kamerun, „Deutsch-Südwestafrika“ und „Deutsch-Ostafrika“ zu Schutzgebieten erklärte und somit faktisch militärisch besetzte.
Unter Historikern wird Bismarck bis heute gern verteidigt, dabei wird das fadenscheinige Argument bemüht, dass er der Gründung von Kolonien zunächst skeptisch gegenüberstand. In der Politik hingegen werden seine Taten im kolonialistischen Kontext gern mit seinen Errungenschaften aufgewogen: „Ja, er hat den deutschen Kolonialismus – nach anfänglichem Zögern – befördert. Er hat aber auch die uns in Deutschland immer noch sehr wichtigen Sozialversicherungssysteme eingeführt“, sagt Kulturstaatsrätin Emigholz und ist damit auf einer Linie mit dem ehemaligen SPD-Bürgermeister Carsten Sieling, der die Sanierung der Statue Anfang 2018 ebenfalls mit Bismarcks Verdiensten in Bezug auf Kranken- und Rentenversicherung verteidigte.
Mit dieser makaberen Aufrechnung von Kolonialismus und Sozialversicherung rechtfertigte die SPD also die Sanierung der Statue – dabei hatte der Reichskanzler die gepriesenen Reformen doch nur auf den Weg gebracht, um den damaligen Sozialdemokraten Argumente und Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen.
Den kolonialistischen Hintergrund kann man aber auch in der SPD nicht gänzlich übersehen: „Bismarck als Protagonisten der Kolonisierung Afrikas insgesamt und der deutschen Kolonialpolitik im Besonderen zu problematisieren, ist ein wichtiges aktuelles Anliegen“, sagt Emigholz. „Wir planen derzeit eine Kartierung von Orten mit Kolonialbezug in Bremen, dazu zählt auch die Bismarck-Statue.“ Am Ende wird die Statue dann womöglich beschriftet und historisch eingeordnet: „Es wird zu klären sein, ob eine Beschriftung der Bismarck-Statue angebracht ist, um sie in ihren historischen Kontext einzuordnen.“
Carmen Emigholz,SPD, Kulturstaatsrätin
Virginie Kamche hält eine Tafel für eine gute Lösung: „Sinnvoll wäre es, die Kontextualisierung des Monuments durch eine Tafel mit Erläuterungen am Denkmal anzubringen, die Bismarcks heute kontrovers zu betrachtende Rolle einordnet.“ Sie wünscht sich allerdings zusätzlich, dass das Thema Kolonialismus mehr in den Schulen unterrichtet wird: „Schön wäre es, wenn das Thema auch ins Bildungssystem aufgenommen wird. Über Kolonialismus lernt man hier noch immer zu wenig.“
Denkmalsamtsleiter Skalecki ist froh, dass die Statue stehen bleiben soll: „Wir brauchen substanziell vorhandene Objekte, die zum Nachdenken anregen sollen und uns auch ermahnen können“, sagt er. Die Idee einer Beschriftung sagt ihm zu: „Man könnte eventuell eine profunde, wissenschaftlich erarbeitete, abgestimmte und ausgewogene Erläuterungstafel zum Nachdenken aufstellen.“ Schließlich könne man sich an solch strittigen Denkmälern auch reiben. „So geschehen am Anti-Kolonialdenkmal, das zum Ort der Debatte über Kolonialismus geworden ist.“
Skalecki meint den Elefanten an der Bremer Bürgerweide, der 1932 als „Reichskolonial-Ehrenmal“ eingeweiht wurde und den damals verbreiteten Wunsch zum Ausdruck brachte, die Kolonien zurückzugewinnen. Am 13. Oktober 1987 wurde der Elefant dann zum „Anti-Kolonialdenkmal“ umgewidmet. Seitdem finden dort immer wieder Veranstaltungen statt, die an den Kolonialismus erinnern.
Ob Bismarcks Reiterdenkmal am Domshof auf ähnliche Weise umgewidmet werden kann, erscheint zweifelhaft.
Bremer Bürgerdialog „Kolonialismus und seine Folgen - Erinnerungsorte“: Montag, 7.9., 17 bis 19 Uhr, teilnehmen kann man unter https://global.gotomeeting.com/ join/191400941 mit dem Zugangscode: 191-400-941. Anschließend gibt es eine Zusammenfassung unter https://www.kultur.bremen.de/service/kolonialismus-13508
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