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Lass die Sonne in die Kunst

Eine solarbetriebene Rakete, Beuys’„Phosphor-Kreuzschlitten“, singende Bäume und klangwerkende Kreisregner: Der Kunstverein Wolfsburg beschäftigt sich mit erneuerbaren Energie und Nachhaltigkeit

Von Bettina Maria Brosowsky

Sie gehören heutzutage zur Angebotspalette jedes Energieversorgers: Strom aus regenerativen Ressourcen und Biogas, zumindest als Beimischung zum Erdgas. Aber die Nutzung etwa der Sonnenenergie ist alles andere als neu. Mit der Rezeption italienischer Kultur errichteten sich ab dem 16. Jahrhundert die Adelshäuser nördlicher Gefilde in ihren Gärten Orangerien: Repräsentationsräume mit mediterraner Bepflanzung. Später entstanden an Bürgervillen großflächig verglaste Veranden oder Gewächshäuser botanischer Sammlungen – allesamt machten sie sich die Einstrahlgewinne des Sonnenlichts zunutze.

Bereits 1913 nahm das wohl weltweit erste Parabolrinnen-Solarkraftwerk seinen Betrieb auf, konstruiert vom US-Amerikaner Frank Shumann. Rund 25 Kilometer südlich von Kairo trieb es ein Pumpwerk an zur Versorgung entfernter Baumwollfelder mit Nilwasser. 2008 machte das Schweizer Kunstduo Christina Hemauer und Roman Keller zur Kairo Biennale auf diese vergessene, technikgeschichtliche Pioniertat aufmerksam, indem es einen Teil der Stahlkonstruktion nachbaute.

Eine Dokumentation dieses Beitrags sowie Fotos der historischen Anlage sind nun in der Gruppenausstellung „Erneuerbare Medien“ des Kunstvereins Wolfsburg zu sehen. Hemauer & Keller haben aber noch mehr im Gepäck, denn sie sind Spezialist:innen für die künstlerische Beschäftigung mit Energie.

Da wäre noch eine Video-Dokumentation vom Start ihrer solargetriebenen Rakete. Sie erreichte nach mehreren Versuchen immerhin schon eine Flughöhe von stolzen 300 Metern. Zudem scheinen beide Spezialist:innen für einen Typ helvetischen Humors zu stehen, wie man ihn etwa auch in den Arbeiten Roman Signers findet: Aus der metaphorischen Capri-Batterie von Joseph Beuys – eine Zitrone mit angebauter Glühlampe – tüftelten Hemauer & Keller 2005 ihre funktionsfähige Leucht-Apparatur „Come On Beuys Shine“.

Beuys gilt gemeinhin ja als Übervater einer Kunst, die beständig humane und ökologische Fragen thematisierte und auch reale wie symbolische Energieträger, etwa Fett, Filz oder Honig, einbezog. So darf er natürlich im Wolfsburger Überblick nicht fehlen, der Kunstproduktion und Ausstellungspraxis auch auf eine Nachhaltigkeitsreflexion abklopfen will.

In seinem Multipel „Phosphor-Kreuzschlitten“ von 1972 ging Beuys der vielschichtigen Kraft dieses chemischen Elements nach. Es ist wichtiger Mineralstoff im menschlichen Stoffwechsel, Rohstoff für Düngemittel, hat als selbstentzündliche Substanz aber auch eine destruktive Geschichte als Brandmunition oder Phosphorbombe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg hinter sich.

Martin Kaltwasser stellt das Fahrrad-Kraftwerk Lohberg bei Dinslaken vor. Nahe dem aufgelassenen Steinkohlebergwerk können nun neun Aktive in die Pedale treten, um kulturelle Angebote mit Strom zu versorgen, für das Freilichtkino sollen laut Kaltwasser bereits acht reichen. Ob nicht alle Fitness-Studios mit derartigen Mechanismen zu dezentralen Kleinkraftwerken werden könnten, gibt Kaltwasser noch zu denken.

Zwei Ästen einer Buche und ihrem Laub werden durch Klemmen Informationsströme abgenommen und mittels eines Frequenzwandlers zu Synthesizerklängen

Neben weiteren Exponaten in seiner Räumlichkeit präsentiert der Kunstverein im Landschaftsgarten des Schlosses Wolfsburg einen nur mit Solarenergie betriebenen Ausstellungspart. Der Münchener Emanuel Mooner hat vor eine stattliche, vielleicht 200 Jahre alte Rotbuche einen leuchtend orangen Unterstand platziert, eine simple Schutzhütte, wie er sie vom Bergwandern kenne. Bequem auf einer Bank sitzend, kann man in ihr dem Sphärengesang lauschen, den diese Buche kraft ihrer Photosynthese produziert.

Zwei Ästen und ihrem Laub werden durch simple Klemmen Informationsströme abgenommen und mittels eines Frequenzwandlers zu Synthesizerklängen. Bei bedecktem Himmel betört ein lichtes Tonwerk, bei intensiver Sonnenstrahlung wie während des Aufbaus letzter Woche tendiere das Astwerk zur Emission chaotischer Kakophonie, so Mooner.

1972 als Emanuel Günther geboren, hat Mooner Erfahrung als Musiker, DJ und Installationskünstler und fuhr für seine Wolfsburger Arbeit eine teure, mit Photovoltaik betriebene elektronische Apparatur auf. Des Öfteren schon in München eingesetzt, wurde sie in Wolfsburg umgehend und bis auf den letzten Draht geklaut – mehrere Tausend Euro Schaden. Als Kompromiss kann nun noch bis übers Wochenende das Livekonzert des „Singing Garden“ in einer neu installierten Anlage genossen werden, danach müssen sich Besucher:innen mit einer Videodokumentation der Arbeit begnügen.

Nicht ins Blickfeld materieller Begehrlichkeit rückte eine zweite Arbeit im Schlosspark durch Ingo Schulz. „Trockenübung“, so der Name, versammelt eine Gruppe Kreisregner, wie sie in der Landwirtschaft verwendet werden, die nun, ihrer Primärfunktion beraubt, ein polyrhythmisches und mehrstimmiges Klangwerk zum Besten geben. Eine feine Kunst, die mit minimalistischem Auftritt und zarter Ironie unser problematisches Verhältnis zu einer vom Menschen überformten Natur anspricht.

„Erneuerbare Medien“: bis 8. 11., Kunstverein Wolfsburg

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