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Birte Müller Die schwer mehrfach normale FamilieIch bin frei, endlich frei, meine Kinder gehen wieder zur Schule!

privat

Birte Müller

45, ist Bilderbuchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi

(12) mit Downsyndrom

und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de

Seit gut einer Woche habe ich jeden Morgen den beknackten Disney-Song der Eiskönigin im Ohr: „Ich bin frei, ich bin frei, ich fühl mich wie neu geboren ...“ und hüpfe dazu fröhlich die Treppen in mein Arbeitszimmer hinauf: Meine Kinder gehen beide wieder in die Schule! Sogar gleichzeitig! Und über den gesamten Vormittag! Theoretisch wenigstens. Praktisch ist wieder einiges ausgefallen. Aber alles ist besser als vor den Ferien.

Es ist traumhaft, endlich wieder ein paar Stunden in Ruhe arbeiten zu können. Ohne dass jemand dauernd meine Aufmerksamkeit einfordert, ohne dass jemand an meinen Computer will oder im Wohnzimmer glotzt. Auch ganz ohne Schularbeiten, für die ich mich in Themen einarbeiten zu muss, mit denen ich mich vor 35 Jahren das letzte Mal beschäftigt habe. Zum Beispiel die „-ing“-Form im Englischen. Die kann ich zwar vermeintlich benutzen, aber meiner elfjährigen Tochter genau erklären, nach welchen Regeln das geschieht? Ohne dass sie in Tränen ausbricht und ruft: „Ich kann das alles nicht“, während sie sich auf den Boden fallen lässt?

Sehr gern wäre ich für all diese Unbill auf einen Menschen und nicht nur auf ein Virus sauer gewesen. Aber ich wusste bald nicht mehr auf wen, weil mein Mann ab Woche 6 dauerhaft auf Arbeit war. Auf „die Schule“ oder „die Behörde“ konnte ich auch nicht wütend sein, die konnten ja nichts für die Schulschließungen. Und unsere Lehrer hatten ja selbst ihre Kinder zu Hause oder haben für zwei Leute gleichzeitig geackert, um all ihre Schüler zu versorgen. Die waren also auch nicht schuld an meinem Leid.

Eine Zeit lang war ich böse auf „die Regierung“, die finanzielle Unterstützung für alle möglichen Firmen ankündigte, aber für mich als „Solo-Selbstständige“ ohne Fixkosten war nichts dabei.

Als ich über diesen Umstand mal wieder herumjammerte, sagte jemand zu mir: „Na ja, wenn man als Selbstständiger nicht mal drei Monate überbrücken kann, dann zeigt das nur, dass die ganze Sache ohnehin nichts bringt. So was darf der Staat dann nicht noch unterstützen.“ Da hatte ich dann wenigstens mal jemanden, auf den ich eine Weile richtig gepestet sein konnte. Eine tolle Einstellung: Kulturschaffende? Brauchen wir nicht, die Sache bringt ohnehin nichts.

Irgendwie hat mich das Schmollen darüber, dass ich von niemandem Geld bekomme, aber nicht weitergebracht. Jammern auf hohem Niveau. Ich habe ja ein heiles (sogar eigenes!) Dach überm Kopf und an Nahrung hat es mir im letzten halben Jahr ebenfalls nicht gemangelt – wenn man mal von Mehl und Hefe absieht.

Trotzdem habe ich gemerkt, dass es Balsam für meine Seele war, als eine Verdienstausfallentschädigung von knapp 70 Prozent für Eltern beschlossen wurde, die aufgrund der Schulschließungen finanzielle Einbußen hatten. Doppelt bitter fühlte es sich dann allerdings an, als mein Antrag abgelehnt wurde. Begründung: Ich hätte mein Kind in die Notfallbetreuung der Schule geben können. Sind Bilderbuchillustrator*innen und Autor*innen jetzt doch systemrelevant? Eine gute Nachricht, nur etwas zu spät vielleicht.

Leider konnte ich meinen gesammelten Frust nicht in Form eines vielseitigen Widerspruch­romans auf die Sachbearbeiterin bündeln. Nicht nur, dass ich wegen des Homeschoolings dafür keine Zeit hatte. Am Ende meines Bescheides stand auch der Hinweis: „Wenn Sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sind, steht Ihnen der Klageweg zum Landgericht offen. Ein Widerspruchsverfahren findet nicht statt.“

Was soll’s? Ich fühl mich zwar verarscht, aber jetzt ist mir alles egal, denn: Ich bin frei, endlich frei, meine Kinder gehen zur Schule!

Nachtrag: Übrigens habe ich doch noch Geld bekommen. Mehrere Veranstalter haben die Schullesungen trotz Absage gezahlt – von sich aus und ganz ohne Antrag! Danke!

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